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das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

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3 Literaturdidaktische Interaktionsfiguren – eine systematische Rekonstruktion 163<br />

tation (bzw. ein Interpretationsangebot): Weil die innere Natur der Menschen<br />

(und die äußere Natur) nicht wie bei den instinkt-geleiteten Tieren gattungsspezifisch<br />

und für die Individuen ein für allemal vorinterpretiert ist, muß sie<br />

von den vergesellschafteten Individuen interpretiert werden, wenn sie denn<br />

(menschlich) überleben wollen. Allerdings finden die individuellen Subjekte<br />

immer schon gesellschaftliche Interpretation der „menschlichen Natur“ und<br />

der Welt im Ganzen vor, in Weltbildern, Institutionen, Rollennormen usw.<br />

Aber wenn Emanzipation sein soll, dann müssen solche Interpretationen revidierbar<br />

sein, dann müssen sie hinsichtlich in ihnen enthaltener überflüssiger<br />

Repressivität hinterfragt werden, und die Subjekte müssen ihre eigene Biographie<br />

ins Spiel bringen, ihre eigene Existenz selbst interpretieren können. Im<br />

Zusammenhang gesellschaftlich vorgegebener Interpretation und gegen diese<br />

wird in Dichtung und Kunst den Rezipienten eine Interpretation des „Daseins“,<br />

der „condition humaine“ angeboten, die sich der – selbst noch gesellschaftlich<br />

vermittelten – ästhetischen Kommunikation mit der eigenen inneren<br />

und zugleich mit der (nicht objektivierten) äußeren Natur verdankt und den<br />

Rezipienten zur ästhetischen Kommunikation mit innerer und äußerer Natur<br />

verhilft. „Ästhetisch“ soll diese Kommunikation heißen, weil sie eine Weise<br />

der Wahrnehmung einschließt, die – im Gegensatz zu „Beobachtung“ – nicht<br />

auf die Zweckzusammenhänge der Naturbeherrschung zielt, sondern im Verzicht<br />

auf Beherrschung Natur als sie selbst, als „Subjekt“ erscheinen läßt. In<br />

solcher Distanzierung, die Nähe erst möglich macht, steckt bereits <strong>das</strong> Moment<br />

an Reflexion, <strong>das</strong> von poetischer Sprache schon und erst recht vom<br />

Werk nicht abtrennbar ist. Die Transformation von innerer Natur (Bedürfnispotential)<br />

oder äußerer in die Sprache der Kunst ist ein komplexer Vorgang,<br />

der Deutung, Selbstreflexion, „Verallgemeinerung“, Herstellung von Kommunikabilität<br />

und Befreiung als voneinander nicht ablösbare Momente enthält.“<br />

(a.a.O., 97f)<br />

Für den Literaturunterricht heißt <strong>das</strong>, <strong>das</strong>s er eine Entwicklungsaufgabe hat, die im<br />

Feld der ästhetischen Kompetenz und seiner entwicklungslogischen Bestimmung<br />

angesiedelt ist. Er hat der Funktion der Literatur „in der Ich-Entwicklung der Heranwachsenden“<br />

den gebührende Raum zu geben. Dabei geht es um die Befähigung<br />

der Schüler,<br />

„vermittelt über literarische Texte mit der nicht-objektivierten äußeren und<br />

(eigenen) inneren Natur zu kommunizieren (ästhetische Kompetenz), und um<br />

die Befähigung zur sozialen Interaktion (interaktiv-moralische Kompetenz).<br />

Und schließlich geht es nicht einfach um den Erwerb der genannten fundamentalen<br />

Kompetenzen, sondern um eine ästhetische Kommunikation und<br />

(sprachliche) soziale Interaktion selbst, insofern sie gegenwärtige Bedürfnisse<br />

der Schüler befriedigt und ihnen Individuierung gestattet (zu diesen Bedürfnissen<br />

gehören die nach Erwachsenwerden, Emanzipation, Individuierung,<br />

aber auch <strong>das</strong> nach ästhetischer Kommunikation selbst).“ (a.a.O., 101)<br />

Die Identitätsorientierung des Literaturunterrichts, wie sie auf diesem Weg von<br />

Kreft innerhalb der literaturdidaktischen Interaktionsfigur „Identifikation und Diffe-

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