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das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

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112 <strong>Jörg</strong> <strong>Steitz</strong>-Kallenbach<br />

Die kontroverse Argumentationslinie, entlang derer Fingerhut seine Konzeption<br />

entwickelt, kann als zentral für die manifesten Unterschiede zwischen der literaturdidaktischen<br />

Interaktionsfigur der Wissenschaftsorientierung und der der Erfahrungsorientierung<br />

gelten und soll aus diesem Grund genauer betrachtet werden.<br />

Mit seinem „Fachunterrichtspostulat“ wendet sich Fingerhut gegen „spontane<br />

Textauseinandersetzung in Form von freien Diskussionen“, weil die „Besprechung<br />

von »Leseerlebnissen« immer wieder an den gleichen gruppendynamischen Prozessen“<br />

scheitern (Fingerhut 1980a, 67). Vor allem weil der institutionelle Zwang den<br />

Schülern keine Wahl lasse, müsse der unterrichtliche Diskurs fachwissenschaftlich<br />

abgesichert sein (vgl. ebenda).<br />

Die grundsätzlich sachliche Lesehaltung, die bereits <strong>das</strong> Bremer Kollektiv als Voraussetzung<br />

für ein kritisches Lesen gesehen habe, befürwortet Fingerhut ausdrücklich<br />

und wendet sich damit gegen kreative und produktive Zugänge zu Texten, die<br />

keinen unmittelbaren Zusammenhang zu angestrebten analytischen Einsichten haben.<br />

„Ziel des Literaturunterrichts ist <strong>das</strong> Verstehen von Texten; Ziel des Verstehens<br />

von Texten ist die Ausbildung eines geschichtlichen Bewusstseins; Folge<br />

dieses Bewusstseins schließlich ist möglicherweise ein verändertes Sozialverhalten.<br />

Die »Reihenfolge« der Zielsetzungen muß eingehalten werden.“<br />

(a.a.O., 68)<br />

Gerade in der Kritik von Jürgen Försters Versuch, Textarbeit und Selbstaufklärungsprozesse<br />

zu verknüpfen (Förster 1977/78 - vgl. unten S. 121f), kann Fingerhut<br />

überzeugend auf die Gefahr hinweisen, <strong>das</strong>s die Lehrer zu Manipulatoren ihrer<br />

Schüler werden:<br />

Der Aufklärer gerät – zumindest vorübergehend – in die zweifelhafte Rolle<br />

des Manipulators, der durch gezielte Maßnahmen im Textumgang (Assoziationsketten,<br />

Provokation von Konflikten) emotionale Reaktionen auslöst oder<br />

ausblendet, je nach dem Stand der Unterrichtserfordernisse, der die »prätextuelle<br />

Rezipientenanalyse« benutzt, um sozusagen posttextuell die Rezipienten<br />

aufklärerisch zu überrumpeln.“ (Fingerhut 1980a, 71)<br />

Fingerhuts Beschränkung des Literaturunterrichts auf Rational-Analytisches<br />

und auf Fachwissenschaftlichkeit wirkt beschränkend in einem auch interaktionellen<br />

Sinne, wirkt ausschließend, polarisierend-konfrontativ. Sie lässt affektiv<br />

getönte Erfahrungen mit Literatur nicht zu. Fingerhuts Rede erscheint<br />

unerbittlich, sie entwirft ein Entweder-Oder, lässt keine Übergänge zu. Die<br />

Aussagen wirken in ihrer Thesenhaftigkeit scharf, ihre sachliche Eindeutigkeit<br />

und Plausibilität kann als gewaltförmig empfunden werden. Gleichzeitig rufen<br />

sie ein Gefühl von Achtung hervor, weil sie auf treffende Weise die kritischen<br />

Punkte eines an den subjektiven Umgehensweisen mit Texten orientierten Literaturunterrichts<br />

erkennen und benennen. Diese Ambivalenz der Eindrücke<br />

wirkt in die Enge treibend! Die Unerbittlichkeit des Konzepts könnte mit ge-

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