01.12.2012 Aufrufe

das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

6 Anhang 283<br />

6.1.3 Textauszug aus Werner 1996, S. 247f<br />

„4.6.2.6 Konfrontation mit einer psychoanalytischen Deutung<br />

Der weitere Diskussionsverlauf zeigt, <strong>das</strong>s ein noch intensiveres Verständnis der Situation<br />

kaum möglich ist. Und <strong>das</strong>, obwohl der Lehrer (20-28), den Diskursverlauf zunehmend<br />

bestimmend, auf eine Vertiefung der psychologischen Deutung hinarbeitet. Seine Haltung<br />

wird an dieser Stelle problematisch, da er <strong>das</strong> psychoanalytische Abwehrmodell als Deutung<br />

einbringt, um davon eine mögliche Schuld Fabers abzuleiten: Der Lehrer faßt den<br />

Textzusammenhang zusammen, zeigt induktiv die Abwehr-Logik auf und wendet diese auf<br />

den Text an. Seine Absicht, <strong>das</strong> psychoanalytische Deutungsmodell durchzusetzen, wird in<br />

der Schlußzusammenfassung sichtbar, in der er die diskursleitende Problemlage als nicht<br />

geklärt bezeichnet, obwohl sich aus der Textarbeit ein differenziertes (/) Bild Fabers und der<br />

Schuldthematik ergeben hat; ungelöst geblieben ist lediglich die intendierte Beziehung<br />

zwischen Abwehrmodell und Schuldfrage. Zugute zu halten ist dieser indirekten Steuerung<br />

des Lehrers, daß sie die Argumentation nicht auf die von den Schülern kaum zu widerlegende<br />

Ebene der Schlußregeln beschränkt, sondern Textbezüge in den Vordergrund stellt, die von<br />

allen Sprechern kontrolliert werden können.<br />

Trotz der stärkeren Lehrersteuerung reagieren die vorher deutungsbestimmenden<br />

Schülerinnen, Johanna (15, 16) und Swenja (10), mit einer Bestätigung ihrer eigenen<br />

Schlüsse. Sie bleiben dabei, Faber zu entlasten, indem sie die vom Lehrer behauptete Brisanz<br />

des Geschehens auf dem Passagierdampfer entkräften. Sie erhalten die eigenen Perspektiven,<br />

obwohl sie deren Logik argumentativ auch an die geänderte Textbasis anpassen müssen.<br />

Stefan (8) weicht vor dem <strong>Dr</strong>uck der Lehrerposition auf einen allgemeineren<br />

Deutungszusammenhang aus: Er ordnet <strong>das</strong> Verhalten Fabers als Zweifel an der eigenen<br />

Rationalität ein, der sich aus den vorherigen Erlebnissen ergeben habe, dem Flugzeugabsturz<br />

und dem Tod Joachims.<br />

Dieser distanziert kritisch bewertete Diskursverlauf stellt sich aus der Perspektive des<br />

beteiligten Lehrers etwas anders dar: „Der Textvergleich führt nicht zu einer eindeutigen<br />

Parallele zwischen der bereits konstatierten Verdrängungsleistung Fabers in der Situation an<br />

der Via Appia und der Begegnung mit Sabeth auf der Überfahrt nach Frankreich. Dafür<br />

variieren die Schüler die Erk1ärungsmuster, indem sie weitere Gesichtspunkte des<br />

Textrepertoires berücksichtigen, den Vorfall mit Joachim, die Wirkungen des Schicksals, die<br />

bereits erwähnten Bezüge zu Hanna. Die von Johanna vorher und von anderen mit Hilfe der<br />

Vergleichsstelle eingebrachte Erkenntnis der Bewußtseinsstruktur des Ich-Erzählers wird<br />

allerdings nicht konsequent auf die Kernstelle angewandt. Die begrifflichen Defizite<br />

verhindern <strong>das</strong> Fertigdenken der nur ‚angedeuteten’ Deutung. Zuletzt umgehen die<br />

Diskutierenden dieses Problem, indem sie ihre Erklärungen geschickter an den Text anpassen.<br />

Die verschiedenen Positionen in der Deutung der Schuldfrage und des Bewußtseins Fabers<br />

stehen weiter gegeneinander, obwohl eine Klärung des Gegensatzes mit Hilfe einer<br />

psychoanalytisch orientierten Denkform bereits ,angedacht‘ wurde. Es kommt zu keiner<br />

Lösung des Schuldproblems. Das ist im Sinne der vorausgesetzten Offenheit der<br />

Interpretation belanglos; methodisch allerdings nicht, da mir der Logik der<br />

psychoanalytischen Deutung dazu dient, Widerstand gegen vielleicht vereinfachende<br />

Schülerdeutungen aufzubauen. Diesen Widerstand versuche ich, durch Beharren auf<br />

differenzierteren Textbelegen, durch <strong>das</strong> Deutlichmachen der Widersprüche der<br />

verschiedenen Schülerdeutungen, durch am Text orientiertes Dagegenstellen meiner Deutung<br />

einzubringen. Ich glaube, so den Irritationsgehalt des Textes bewahren zu können.““

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!