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das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

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3 Literaturdidaktische Interaktionsfiguren – eine systematische Rekonstruktion 203<br />

grund der Darstellung über die Wirkung von Affekten durchaus auch als Gegenübertragungswiderstand<br />

gedeutet werden, der die Funktion haben würde, bestimmte<br />

Dimensionen des unterrichtlichen Geschehens auszublenden. Zwei Aspekte scheinen<br />

dabei miteinander verknüpft zu sein. Es gibt Gefühle der Ohnmacht, der<br />

Sprachlosigkeit und Inferiorität gegenüber den literarischen Texten, der Sprache, der<br />

Kultur und ihren institutionellen Vertretern. Solche Gefühle bahnen sich in Wut,<br />

Aggression bis hin zu Zerstörungsfantasien gegenüber literarischen Texten einen<br />

Weg. Andererseits gibt es Gefühle der Größe, der Potenz, die in Größenfantasien<br />

erkennbar sind, als Befreier von dieser Ohnmacht, als Zur-eigenen-Sprache-Bringer,<br />

als Entfaltungs-Helfer, als Schöpfer von Systemen zu wirken, die grundlegende Verstehensprobleme<br />

überwinden.<br />

Ersteres zeigt sich in extremer Form in Rupps 111 Fantasie von einer „primären<br />

Textrezeption ‚unterhalb’ des Signifikats auf der materiellen Ebene der literarischen<br />

Signifikanten“ (Rupp 1987, 93), die konzeptionell in diversen Oppositionen befangen<br />

zu sein scheint: dominante Kultur der Erwachsenen � subkulturelle Laienkultur<br />

der Schüler (vgl. Rupp 1987, 78f), medialer Zwang der literarischen Sinn- und Textbildung<br />

� befreiendes, entgrenzendes Texterleben (79), mit Bedeutungen zugeschüttete<br />

Texte � erfahrene Texte (80), kommunikative Hegemonie � kommunikationsethische<br />

Symmetrie (80f), symbolische Gewalt � eigene Sprache (83f), Interpretation<br />

� Eingreiftexte und Anschlusshandlungen (84).<br />

Die Lektüre von Rupps Text hat mich häufig ins Taumeln gebracht, seine<br />

Sprache hat auf mich die Wirkung einer fordernd-mächtigen Unbedingtheit,<br />

sie verlangt Unterwerfung. Selbst nicht frei von aggressivem Gestus provoziert<br />

sie aggressive Distanzierung. Das Thema der Differenz scheint ihr eigen.<br />

Die Größenfantasien könnte man in Waldmanns Weiterentwicklung des Konzepts<br />

des produktiven Verstehens zu einem System der „literarischen Hermeneutik“<br />

(Waldmann 1998, 26) finden, <strong>das</strong> er mit dem Bewusstsein der eigenen Leistung und<br />

der biografischen Summe 112 präsentiert: „Dieses Buch war allmählich an der Zeit.“<br />

(XI)<br />

Waldmanns Texte, vor allem den Lyrikband (1988) habe ich immer mit großem<br />

Genuss und dem Gefühl gelesen: Endlich hat es einer mal geschafft, mir<br />

<strong>das</strong> Geheimnis lyrischer Strukturen zu lüften. Ich erinnerte die Gefühle des<br />

Ungenügens als Schüler, in Gedichtinterpretationen Form und Inhalt verbinden<br />

zu sollen, und spürte ein Gefühl der Dankbarkeit gegenüber Waldmann,<br />

ein Gefühl des Mit-meinem-Unvermögen-angenommen-Seins, <strong>das</strong> gleichwohl<br />

mit einer progressiven Komponente verknüpft ist: Hier kann ich etwas lernen,<br />

hier kann ich es begreifen.<br />

111 Vgl. zu Rupps Konzeptualisierung des „Kulturellen Handelns mit Texten“ auch die entsprechende<br />

Passage in Abschnitt 3.3.7, insbesondere S. 153ff.<br />

112 Sogar eine intergenerationelle produktive Verstehens-Erfahrung findet sich und wird in die Begründungszusammenhänge<br />

des Konzepts eingeführt: „In dem Klassenarbeitsheft meines Vaters Otto<br />

Waldmann aus dem Jahre 1897/98 finde ich (...) u.a. eine Nacherzählung von Lukas 10, 30-37 mit<br />

veränderter Perspektive: ...“ (Waldmann 1998, 43).

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