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das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

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96 <strong>Jörg</strong> <strong>Steitz</strong>-Kallenbach<br />

entscheidungen hinabreichen. Angesichts solcher Spannungen kann die<br />

Schule nicht auf ihre Aufgaben verzichten. Die Spannung löst sich, wenn der<br />

Abschluß der Text-Rezeption nicht für den Augenblick erwartet wird, wenn<br />

dieser Rezeption also ein größerer zeitlicher Spielraum zugestanden wird.“<br />

(1966k, 343f)<br />

Im Kern dieses Textes steht <strong>das</strong> Bild von Skylla und Charybdis. Es ist ohne Odysseus,<br />

den starken Kämpfer nicht denkbar. Ein Sinnbild männlicher Stärke ist in der<br />

Enge zwischen Skylla und Charybdis bedroht. Das Szenario eines Kampfes ist skizziert.<br />

Der Kampf ist nur zu gewinnen, indem den Extremen des „Zerredens“ und<br />

„Zerstörens“ einerseits sowie des „ohnmächtigen Verharrens“ und des „stumpfen<br />

Abwartens“ ausgewichen wird. Das kämpferische Szenarium wird in einem Gefüge<br />

rationaler Begrifflichkeit aufgehoben, bildet aber gleichwohl <strong>das</strong> präsentativ-symbolische<br />

Substrat des Gesagten. Eine wesentliche Dimension der Funktion der begrifflichen<br />

Überformung könnte in der Tilgung allen Subjektiven der Szene liegen.<br />

Zur Fantasie Helmers’, <strong>das</strong>s „passives Abwarten des Lehrers an der Substanz der<br />

Texte“ vorbeiführt, gehört ein Ungesagtes: die Aktivität der Schüler, zumindest deren<br />

vorgestellte Möglichkeit. Die Positionierung jeglicher Schüleraktivität durch<br />

diese Fantasie kommt einer Entwertung der Schüler gleich. Sie ist gleichwohl verkleidet<br />

in einem historischen Exkurs zur Kunsterziehungsbewegung, der <strong>das</strong> Problem<br />

der realen unterrichtlichen Rezeption in genau diesem Exkurs umschifft.<br />

Eine zweite Metapher der Konfrontation bestimmt den Text, diesmal die Konfrontation<br />

der Systeme „Schule“ und „Dichtung“. Der Text evoziert <strong>das</strong> Bild von Dichtung<br />

als einer Festung, der sich Schule als ein Belagerungsheer, angeführt vom Lehrer -<br />

die Schüler dürfen mitgedacht werden, tauchen als Subjekt aber nicht wirklich auf -<br />

„mit drängendem Aufschließverlangen“ nähert. Am beschriebenen Vorgang können<br />

Momente einer starken Triebhaftigkeit wahrgenommen werden. Während vorher<br />

noch von Passivität oder Aktivität des Lehrers die Rede war, scheint dieser in diesem<br />

zweiten Bild ebenso wie die Schüler bereits vorher depersonalisiert: Auf der<br />

manifesten Ebene des Texts agiert <strong>das</strong> System autonom. Die Dichtung ist zu nehmen,<br />

gegen ihren Willen, die „Rezeption (ist) frontal zu vollziehen“. Die metaphorische<br />

Ebene des Texts zeichnet literarische Rezeption, Interpretation, Umgang mit<br />

Literatur in der Schule als einen intensiven Gewaltakt.<br />

In diesem Szenario verschwindet letztlich auch der Lehrer als Individuum. Es kennzeichnet<br />

den Ansatz Helmers’, <strong>das</strong>s die konkrete Lehrer-Schüler-Interaktion in der<br />

„Didaktik“ nur einziges Mal vorkommt. Im Zusammenhang der Beschreibung von<br />

„Literatur als Bildungsgehalt“ (1966k, 312) heißt es:<br />

„Der didaktische Aspekt ist stets konkretisiert durch einen Lernprozeß. In diesem<br />

geht es um den Umgang eines Lernenden mit Literatur, um deren Aufschließung<br />

für den Lernenden. Die Rezeption wird gefördert durch Lehre.<br />

Von wesentlicher Bedeutung kann beim Prozeß <strong>literarischer</strong> Bildung der ‚pä-

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