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das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

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142 <strong>Jörg</strong> <strong>Steitz</strong>-Kallenbach<br />

differente Gebilde appellieren literarische Texte an die Einbildungskraft der Leser,<br />

die den Texten eigene Wirklichkeit im Vollzug des Lesens zu kreieren. Während<br />

dieser Vorgang in „Die Appellstruktur der Texte“ wesentlich an <strong>das</strong> Konzept der<br />

Unbestimmtheit <strong>literarischer</strong><br />

Texte gebunden bleibt, ergänzt<br />

Iser seine Überlegungen in „Der<br />

Lesevorgang“ sowohl hinsichtlich<br />

der Leser als auch der literarischen<br />

Texte. Dabei pointiert er<br />

zunächst die These von der Virtualität<br />

des literarischen Texts<br />

und fasst die Ergebnisse seiner<br />

Abb. 20 - Die Virtualität des literarischen Werks nach Iser<br />

früheren Überlegungen wie folgt<br />

zusammen.<br />

„Das literarische Werk besitzt zwei Pole, die man den künstlerischen und den<br />

ästhetischen Pol nennen könnte, wobei der künstlerische den vom Autor<br />

geschaffenen Text und der ästhetische die vom Leser geleistete Konkretisation<br />

bezeichnet. Aus einer solchen Polarität folgt, daß <strong>das</strong> literarische Werk weder<br />

mit dem Text noch mit dessen Konkretisation ausschließlich identisch ist.<br />

Denn <strong>das</strong> Werk ist mehr als der Text, da es erst in der Konkretisation sein<br />

Leben gewinnt, und diese wiederum ist nicht gänzlich frei von den<br />

Dispositionen, die der Leser in sie einbringt, wenngleich solche Dispositionen<br />

nun zu den Bedingungen des Textes aktiviert werden.<br />

Dort also, wo Text und Leser zur Konvergenz gelangen, liegt der Ort des literarischen<br />

Werks, und dieser hat zwangsläufig einen virtuellen Charakter, da er<br />

weder auf die Realität des Textes noch auf die den Leser kennzeichnenden<br />

Dispositionen reduziert werden kann.<br />

Dieser Virtualität des Werks entspringt seine Dynamik, die ihrerseits die Bedingung<br />

für die von ihm hervorgerufene Wirkung bildet. Der Text gelangt<br />

folglich erst durch die Konstitutionsleistung eines ihn rezipierenden Bewußtseins<br />

zu seiner Gegebenheit, so daß sich <strong>das</strong> Werk zu seinem eigentlichen<br />

Charakter als Prozeß nur im Lesevorgang zu entfalten vermag. (...) Das Werk<br />

ist <strong>das</strong> Konstituiertsein des Textes im Bewußtsein des Lesers.“ (Iser 1972b,<br />

253)<br />

Zwar bringt sich der Leser zu den Bedingungen des Texts ein und ist damit in seinem<br />

Beitrag bei der Konkretisation des Texts auf dessen Angebote angewiesen;<br />

diese Leser-Beteiligung ist jedoch ungleich vielfältiger als dies eine textliche Konkretisation<br />

zum Ausdruck bringt. Im Spiel von Protention und Retention (vgl. Iser<br />

1972, 255-260) fasst Iser diese Leserbeteiligung. Dabei zeigt er zunächst die Entstehung<br />

eines Überschusses an Bedeutungen, die gleichwohl nur als Möglichkeitsraum<br />

Bedeutung erlangen (Spiel der Protentionen). Wenn auch der Konkretisationsprozess<br />

der Retentionen den durch <strong>das</strong> Spiel der Protentionen entfalteten Möglichkeitsraum<br />

einschränkt, so verlieren nicht-realisierte Konkretisationen nicht ihre Bedeutung für

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