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das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

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3 Literaturdidaktische Interaktionsfiguren – eine systematische Rekonstruktion 147<br />

So wie Rezeption im Sinne Hillmanns eben im Grund nicht wirklich Rezeption ist,<br />

sind auch die Leser der Hillmann’schen Untersuchung nicht wirklich Leser, denn ein<br />

‚echter Leser’, so Jauß, wäre ganz anders an den Text herangegangen.<br />

„Dem Leser ist normalerweise ‚Herr K.’ als Brechtsche Figur bekannt, zumindest<br />

insoweit, <strong>das</strong>s er ihn als ‚den Denkenden’ wiedererkennt, auch wenn<br />

er nicht alle Keuner-Geschichten vor Augen hat. Es handelt sich hier um die<br />

altbekannte Erzählgattung ‚Geschichten von einer Person’, deren Struktur und<br />

Rezeptionsweise von den Evangelien des Neuen Testaments bis zu den Abenteuern<br />

des braven Soldaten Schweik jedermann, strenge Empiriker vielleicht<br />

ausgenommen, vertraut sein dürfte. Die Frage, die der Leser normalerweise an<br />

eine solche Geschichte richtet und nach der Intention Brechts auch richten<br />

sollte, kann hier nur lauten: ....“ (a.a.O., 329f)<br />

Eine solche Bestimmung entfaltet ein Spiel der Differenzen, schließt und grenzt aus,<br />

bestimmt Zugehörigkeit. Die Qualität eines solchermaßen bestimmten Lesers muss<br />

wohl im wesentlichen darin gesehen werden, <strong>das</strong>s in ihm expliziter und impliziter<br />

Leser zusammenfallen. Dass dabei <strong>das</strong> Konzept des impliziten Lesers bzw. der<br />

„Code der literarisch vorgezeichneten Leserrolle“ den Vorrang hat, wird noch einmal<br />

methodologisch begründet.<br />

„Da die implizite Leserrolle an objektiven Strukturen des Texts ablesbar, also<br />

unmittelbarer greifbar ist als die explizite Leserrolle in ihren oft verdeckten<br />

subjektiven Bedingungen und gesellschaftlichen Abhängigkeiten, verdient die<br />

erstere methodologisch den Vorrang des ersten, leichter objektivierbaren Zugangs.“<br />

(a.a.O., 339)<br />

Die sich abzeichnende Identität zwischen implizitem und explizitem Leser bei Vorrang<br />

des impliziten Lesers bekommt eine normative Perspektive als idealer Leser.<br />

Dieser ideale Leser ist ein literarisch gebildeter Leser, dessen Rezeptionsleistung<br />

darin besteht, den literarischen Text nicht auf sich zu beziehen, sondern in einem<br />

literarischen System zu verorten. Andere Modelle der Text-Leser-Interaktion werden<br />

zutiefst abgewertet und zudem der Literaturpädagogik zugewiesen, womit diese<br />

ebenfalls abgewertet wird. Auch wenn die folgende Aussage zunächst als Replik auf<br />

Hillmann zu lesen ist, macht sie doch die Entwertung des Versuchs deutlich, empathisch<br />

auf andere literarische Erfahrungen einzugehen:<br />

„Das (<strong>das</strong> Füllen von „Leerstellen“ im Hillmannschen Sinne, StK) braucht<br />

gewiß nicht nutzlos zu sein, kann die Kreativität einer Schulklasse fördern und<br />

mag nicht allein den Religionslehrer, der allerlei erbauliche Betrachtungen anschließen<br />

kann, sondern auch den ideologiekritischen und psychotherapeutisch<br />

angehauchten Literaturpädagogen befriedigen, der auf diese Weise ein<br />

treffliches Material an verräterischen Projektionen in die Hand bekommt.“<br />

(330)

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