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das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

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5 Literaturunterricht im Prozess <strong>literarischer</strong> Sozialisation – ein Resümee 277<br />

Allgemeinen und des Literaturunterrichts im Besonderen zu öffnen. Über diese<br />

Wahrnehmungskanäle kann sich szenische Kompetenz dann weiter entwickeln.<br />

Eigene Veranstaltungs- bzw. Kursangebote können diesem Teil des Ausbildungsprozesses<br />

einen organisatorischen Rahmen geben. In solchen Veranstaltungen, die<br />

den Charakter von Projektstudien und Übungen haben sollten, kann <strong>das</strong> interaktionelle<br />

Geschehen im Literaturunterricht sowie im Deutschunterricht überhaupt selbst<br />

zum Thema werden. Im Sinne forschenden Lernens müssen Studenten dabei <strong>das</strong><br />

Material ihrer Betrachtungen in projektartigen Erkundungen selbst zusammen tragen.<br />

Gleichzeitig bieten die Veranstaltungen Gelegenheit für <strong>das</strong> Training grundlegender<br />

Handlungskompetenzen in kommunikativen Interaktionsgefügen.<br />

Aber vor allem auch im Rahmen bestehender Veranstaltungsformen kann szenische<br />

Verstehenskompetenz eine Ausbildungsperspektive werden. Rezeptionsprozesse<br />

sowohl in literaturwissenschaftlichen wie in literaturdidaktischen Seminaren können<br />

dazu genutzt werden, Studierende die Erfahrung machen zu lassen, <strong>das</strong>s der Umgang<br />

mit Literatur szenisch strukturiert ist und <strong>das</strong>s der Rezeptionsprozess als szenisches<br />

Arrangement verstanden werden kann. Die Beispiele, die bisher entfaltet wurden,<br />

können zeigen, <strong>das</strong>s hier sowohl literarische Texte (vgl. S. 6ff bzw. S. 240ff) wie<br />

auch wissenschaftliche Texte (vgl. S. 37ff) verwendet werden können und wie dabei<br />

vorgegangen werden kann. Hinsichtlich der in diesem Erfahrungsprozess notwendigen<br />

Deutungen ist es aber wichtig festzuhalten, <strong>das</strong>s Deutungen in Ausbildungszusammenhängen<br />

an den Text bzw. den Professionalisierungskontext gebunden bleiben<br />

müssen. Herrn Behrends Umgang mit Borcherts Text (s. oben S. 6ff), seine<br />

emotionale Reaktion auf den Text wurde in der Deutung auf den Text zurück bezogen.<br />

Der Seminarleiter konnte in seinen Gegenübertragungsgefühlen gleichwohl<br />

Herrn Behrends Bedürftigkeit, sein Versorgt-Werden-Wollen spüren. Eine therapeutische<br />

Situation hätte, von einer solchen Szene ausgehend, möglicherweise der<br />

Eltern-Sohn-Beziehung von Herrn Behrend nachgespürt. Für den literaturdidaktischen<br />

Ausbildungszusammenhang ist aber wichtig, die Deutung und <strong>das</strong> szenische<br />

Verstehen der Situation an den Text rückzubinden. Selbst<strong>erfahrung</strong> ist also ein notwendiger<br />

Aspekt der Kompetenz zu szenischem Verstehen, aber sie ist es als Teil<br />

einer Professionalisierung zum Lehrer, als berufsbezogene Selbst<strong>erfahrung</strong> also.<br />

Dies gilt auch für einen zweiten wichtigen Qualifikationsbereich in Aus- und Weiterbildung,<br />

den der Beschäftigung mit Prozessen der literarischen Sozialisation. Dass<br />

es dabei um mehr als um die Erfassung von Lesestoffen und ihrer chronologischen<br />

Verteilung geht, zeigt <strong>das</strong> Beispiel von Herrn Fredersen (s. oben, S. 12ff). Die<br />

durchlebten Leseszenen selbst können eine wesentliche Basis für die dem Umgang<br />

mit Literatur zugeschriebenen Bedeutungen bilden.<br />

Herr Veit schildert in einem literaturdidaktischen Erkundungsprozess der eigenen<br />

literarischen Sozialisation seine prägende Erfahrung mit dem Lesen folgen-<br />

5 Eine sehr unsentimentale, gleichwohl kritische Geschichte des literarischen Lesens als einer<br />

Kulturtechnik der Disziplinierung und Zurichtung der Körper liefert Prondczynsky (1993).

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