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das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

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3 Literaturdidaktische Interaktionsfiguren – eine systematische Rekonstruktion 151<br />

Die Kritik aber muss verfügen über <strong>das</strong>, was sie kritisiert. Sie setzt voraus, <strong>das</strong>s es<br />

den zu kritisierenden Gegenstand gibt, nicht nur als einen historischen Gegenstand,<br />

sondern als eine nach wie vor gültige gesellschaftliche Praxis. Klaus-Michael Bogdals<br />

Versuch, „zur allgemeinen Verunsicherung beizutragen“ (1999, 214 u. 232f),<br />

setzt somit nicht nur Subjekte voraus, die sich der kritisierten gesellschaftlichen Praxis<br />

bedienen, sondern zielt auch auf diese Subjekte selbst. Da dieses „Bedienen“<br />

aber kein mechanistisches Verwenden eines Werkzeugs, sondern ein mit Selbstkonzepten<br />

der ‚Werkelnden’ vermitteltes Geschehen ist, hat die Verunsicherung auch<br />

jene Selbstkonzepte und damit die Subjekte selbst zum Gegenstand. Dekonstruktion<br />

ist vor diesem Hintergrund nicht nur eine objektbezogene, sondern auch eine subjektbezogene<br />

Kritik, bei der es gleichwohl Unterschiede zu geben scheint, die sich<br />

durchaus auch als Qualitätsunterschiede erweisen. Auf interaktioneller Ebene<br />

scheint <strong>das</strong> dekonstruierende durchaus ebenso verschieden vom dekonstruierten<br />

Subjekt zu sein, wie es <strong>das</strong> Subjekt mit ‚richtigem’ von dem mit ‚falschem’ Bewusstsein<br />

innerhalb des Konzepts der Ideologiekritik ist (vgl. oben Abschn 3.3.3<br />

und 3.3.4, S. 97 - 125). Die zu dekonstruierenden Subjekte werden in den<br />

„Vermittler(n) von Literatur“ (ebd., 232) ausgemacht und ihr Autoritätsverlust in<br />

den Vermittlungsprozessen (vgl. a.a.O.) entspricht dem Autoritätsverlust der<br />

dekonstruierten Trias von Autor-Werk-Leser. Den „Autoritätsverlust der Vermittler“<br />

schließt Bogdal ausschließlich aus dem Autoritätsverlust des zu vermittelnden<br />

Gegenstands. Der Vermittlungsprozess spielt in seinen Überlegungen keine bzw. nur<br />

eine strukturelle Bedeutung, der konkreten Gestalt von Vermittlungsprozessen geht<br />

Bogdal nicht nach. Diese Dominanz der Texte und der Intertextualität, der Objekte<br />

sowie des theoriegeleiteten Umgangs mit ihnen steht nicht nur im Zentrum von<br />

Bogdals Analyse, sie kennzeichnet auch eine Vielzahl von literaturdidaktischen<br />

Überlegungen im dekonstruktivistischen Paradigma. Die literaturwissenschaftlich<br />

beschriebenen textlichen Potentiale für Lehr-Lern-Prozesse gelten in den<br />

Unterrichtsvorschlägen häufig bereits als Nachweis der literaturdidaktischen<br />

Validität sowie der unterrichtlichen Umsetzbarkeit.<br />

Literaturdidaktische Zielvorstellungen werden in Annäherung an literaturwissenschaftlich-universitäre<br />

Perspektiven formuliert, wobei nicht selten übersehen wird,<br />

<strong>das</strong>s Schüler auch in der gymnasialen Oberstufe nicht über die intertextuelle Kompetenz<br />

verfügen, wie sie Hochschullehrern der Germanistik zu Eigen ist. So scheint<br />

es fraglich, ob Schüler jenen Auschwitz-Diskurs wirklich kennen, der etwa mittels<br />

Ruth Klügers „weiter leben“ dekonstruiert werden soll (vgl. Kammler 1995 und<br />

2000, S. 96ff) und ob sie, wie Kaspar Spinner es tut, die „schweren trochäischen<br />

Verse von Goethe“ hören, wenn sie mit der Klage von Witwe Bolte aus „Max und<br />

Moritz“ konfrontiert sind (Spinner 1995). Dabei sind Spinners und Kammlers<br />

Überlegungen insgesamt durchaus nah am Unterricht und seiner Realität, verhehlen<br />

die Schwierigkeiten dekonstruktivistischer Lektüre in der Schule nicht und fallen<br />

sicher nicht unter die Beispiele, die Kämper-van den Boogaart zur Formulierung des<br />

Eindrucks veranlasst hat, <strong>das</strong>s „ ‚Der Deutschunterricht’ zuweilen kaum mehr als

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