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das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

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3 Literaturdidaktische Interaktionsfiguren – eine systematische Rekonstruktion 121<br />

weitgehend implizit, in Jürgen Försters Konzept „Leserdisposition und kritische<br />

Textrezeption“ (Förster 1978) erscheint <strong>das</strong> Bild ausdifferenziert.<br />

Wie Schlaffer versteht auch Förster die Widerstände der Schüler gegen Texte und<br />

den kritischen Umgang mit ihnen als Ergebnis ihrer Sozialisation. Diese lässt sie<br />

eben nicht ihre wahre Lage als Unterdrückte erkennen, hat sie mit falschem Bewusstsein<br />

ausgestattet und verhindert so Emanzipation. Die Bewusstmachung und<br />

<strong>das</strong> „Brechen“ (vgl. Förster 1978, 227) der Widerstände gegen die Bewusstmachung<br />

ist daher Voraussetzung von kritisch-emanzipativer Textrezeption.<br />

Förster setzt also insofern durchaus an Subjektmerkmalen des Rezeptionsprozesses<br />

an, als er nach den Bedingungen fragt, unter denen sich <strong>das</strong> kritische Potential von<br />

ästhetischen Texten entfalten kann. Die Schüler sind in Försters Darstellung abstrakte<br />

Bewusstseinsträger; Unterricht wirkt wie eine technokratisch-mechanische<br />

Veranstaltung, in der falsche Bewusstseinsinhalte gegen richtige ausgetauscht werden,<br />

ganz so als handele es sich um austauschbare Teile eines mechanischen Objekts.<br />

Die Anerkennung des Widerstands gegen den ideologiekritischen Literaturunterricht<br />

und <strong>das</strong> Eingeständnis seiner Folgenlosigkeit im Vergleich zu den Ansprüchen<br />

lassen insofern ein Stück Realität erkennen, als deutlich wird, <strong>das</strong>s die kritisch-analytische<br />

Intellektualisierung des Literaturunterrichts und die Übertragung<br />

der Struktur universitärer Seminarveranstaltung der Studentenbewegung auf schulische<br />

Lehr-Lern-Prozesse nicht den erwarteten Erfolg gehabt haben. Statt nun aber in<br />

diesem Konflikt die eigene Position, die eigenen Erwartungen und Ansprüche zu<br />

überdenken, statt also die Interaktions<strong>erfahrung</strong> im Medium der Literatur zum Ausgangspunkt<br />

„selbst“kritischer Reflexion zu machen, werden die Schüler im Konzept<br />

der „praetextuellen Rezipientenanalyse“ (Förster 1978, 229f) noch weiter verdinglicht<br />

und zum Objekt machtvollen, autoritativen Lehrerhandelns gemacht.<br />

Diese „praetextuelle Rezipientenanalyse“ ist die methodische Antwort auf die Forderung<br />

nach<br />

„Initiierung von Selbstreflexion, in der der Schüler hinter manifeste Erscheinungen<br />

seiner bisherigen Lebensgeschichte gelangen kann (...). (Förster 1978,<br />

229)<br />

Förster entwickelt also durchaus ein Prozessmodell der Persönlichkeitsentwicklung<br />

im Medium der Literatur. Die Selbstreflexion gerät dabei jedoch zur Worthülse, weil<br />

Entwicklung nicht auf dem Prinzip der Fähigkeit der Subjekte zur Selbstreflexion<br />

basiert, sondern auf der Annahme, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Ergebnis der Sozialisation sie zu genau<br />

dieser Selbstreflexion unfähig macht. Der Lehrer wird also zum Initiator und Manager<br />

des Prozesses, der in hohem Maße manipulative Tendenzen aufweist und vor<br />

allem auch auf <strong>das</strong> Unbewusste als dem Ort des falschen Bewusstseins zielt. Deduktionslogisch<br />

stellt Förster nämlich fest, <strong>das</strong>s den Schülern ihre Widerstände und Blockaden,<br />

<strong>das</strong>s ihnen die Motivlagen und Begründungen für ihr Handeln nicht bewusst<br />

sind, und folgert daraus, <strong>das</strong>s es sich dabei um unbewusste Phänomene handeln

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