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das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

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36 <strong>Jörg</strong> <strong>Steitz</strong>-Kallenbach<br />

richtsgeschehen häufig als (auto-)biografische Erfahrung. 24 Dieses Material<br />

wird mit erzählerischen Mitteln dargestellt, die auch zum ‚literarischen’<br />

Präsentationspotential der Texte gehören, auf die sich die Lektüre frei einlässt.<br />

Zu diesem freien Einlassen gehört es auch, den eigenen Assoziationen,<br />

die sich am Text bzw. an bestimmten Textpassagen entfalten können,<br />

einen unzensierten Lauf zu lassen. (vgl. Belgrad 1996b, 139ff; Würker<br />

1999, 31)<br />

2. In einer weiteren Facette dieses szenischen Sich-Einlassens auf Texte werden<br />

‚Brüche’ und ‚Verwerfungen’ notiert und Irritationen festgehalten (vgl.<br />

Belgrad 1996b, 138f). Solche Brüche und Verwerfungen ergeben sich in<br />

der Regel an zwei systematischen Positionen: an der Position des Autors<br />

und seines Texts bzw. seiner Texte und an der Position des Lesers. Letzterer<br />

geht an den Text mit seinem Alltagswissen und mit „professionellen<br />

Deutungsmustern“ (Belgrad 1996b, 143) heran, insgesamt also seinen „lebenspraktischen<br />

Vorannahmen“ (Lorenzer 1978, 73), die als „versuchsweise<br />

einzusetzende Lebensentwürfe“ (ebenda) in den Textverstehensprozess<br />

eingebracht werden. Im Falle einer Differenz, die sich etwa in einem<br />

bestimmten Affekt auf den Text äußern kann, läge ein solcher Bruch vor,<br />

an dem der weitere Verstehensprozess ansetzen wird. Weitere Bruch- oder<br />

Irritationsstellen sind intra- und inter-textueller Qualität, auch wenn sie<br />

vom Leser vor dem Hintergrund seiner Validierungskriterien festgestellt<br />

werden. Intra-textuelle Bruchstellen etwa liegen bei textinternen Widersprüchen,<br />

bei ‚unstimmigen’ Bildern und Metaphern oder auch bei bestimmten<br />

auffälligen Formulierungen, bis hin zu syntaktischen oder/und<br />

semantischen ‚Fehlern’ vor. Inter-textuelle Bruchstellen liegen dann vor,<br />

wenn zwischen verschiedenen Auflagen oder Publikationsvarianten eines<br />

Texts Differenzen deutlich werden, die als gegenstandsbezogen symptomatisch<br />

eingestuft werden können. Solche Bruch- oder Irritationsstellen<br />

werden methodisch als Sollbruchstellen zwischen der manifesten und der<br />

latenten Bedeutungsschicht des Texts verstanden. Die an den Bruchstellen<br />

festgestellten Differenzen sind somit der Ausgangspunkt für ein Verstehen<br />

der latenten Schichten des Texts. Dieser Bezug auf den Text ist wichtig,<br />

weil es nicht um ein Verstehen des Unbewussten des Autors oder der Autorin<br />

geht. Das Verstehen richtet sich auf die Leser-Text-Szene, sie ist der<br />

Verstehensgegenstand.<br />

3. Auf der Grundlage von Teilen des so gewonnenen Materials werden in einem<br />

weiteren Schritt des Textverstehens Deutungshypothesen formuliert,<br />

„Indizien der „Spurensuche“ nach den latenten Sinnstrukturen des Texts<br />

festgehalten (vgl. Belgrad 1996b, 142f). Deren Validierung geschieht auf<br />

24 Zum systematischen Stellenwert des Zusammenhangs von biografischer Erfahrung und pädagogischem<br />

Diskurs vgl. Kraft (1996, S. 11 - 32) und Prange (1987) sowie allgemeiner zum Zusammenhang<br />

von Wissenschaft(-sgeschichte) und biografischer Erfahrung Kohli (1981).

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