01.12.2012 Aufrufe

das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

3 Literaturdidaktische Interaktionsfiguren – eine systematische Rekonstruktion 215<br />

Unterricht einbringt. In Überlegungen, in denen die systematisch-strukturellen Dimensionen<br />

der literarischen Gegenstände und ihrer gesellschaftlichen Verwertungszusammenhänge<br />

im Vordergrund stehen, können Schüler und ihre Subjektivität auch<br />

als deutliche Störfaktoren des im wesentlichen kritisch-distanzierten Umgangs mit<br />

Literatur erscheinen, deren spezifisches So-Sein in der kritischen Wissenschaftlichkeit<br />

als aufhebbar vorgestellt ist. In solchen Konzepten kann die literaturdidaktische<br />

Perspektive auch durch abwertend-aggressive Momente geprägt sein, wobei die Affekte<br />

nicht nur auf abstrakte Komponenten des literaturdidaktischen Diskurses gerichtet<br />

sind, sondern konkrete Subjekte erfassen. Entwicklung als Dimension von<br />

Schülerkonzeptualisierungen in den literaturdidaktischen Interaktionsfiguren kann<br />

auch eine individuell-biografische Komponente besitzen, die gleichwohl <strong>das</strong> literaturunterrichtliche<br />

Geschehen diversifiziert. Diese Vielschichtigkeit kann als Chance,<br />

aber auch als Gefährdung empfunden werden, was möglicherweise mit methodischen<br />

Verdinglichungen von Schülern und ihrem Handeln beantwortet wird.<br />

Lehrer können sich in einem solchen Unterricht als von der Nähe der Entwicklungsprozesse<br />

der Schüler zur eigenen Personen überflutet fühlen, was sie methodisch-didaktische<br />

‚Dämme’ errichten lässt, deren Funktion es einerseits zwar ist, literaturunterrichtliche<br />

Prozesse im ‚Fluss zu halten’, sie weder versickern noch in<br />

Wirbeln und Strudeln explodieren zu lassen, die gleichermaßen aber den Strom der<br />

literarischen Erfahrung auf eine Weise kanalisieren können, die ‚eigentlich’ nicht<br />

intendiert war. Gerade die Ambivalenzen offener und <strong>erfahrung</strong>sorientierter Prozesse<br />

des Umgangs mit Literatur führt die Lehrer in die Ambivalenzen des eigenen<br />

Umgangs mit Literatur, mit dem Lesen und mit den Differenzen kindlichen und erwachsenen<br />

Lesens, woraus eine erhebliche Anforderung an die Wahrnehmung, <strong>das</strong><br />

Verstehen und die Planung literaturrezipierender Prozesse erwächst. Vor allem da,<br />

wo <strong>das</strong> Konzept „Lehrer“ in den literaturdidaktischen Interaktionsfiguren nicht mit<br />

der wesentlichen Qualität der Ambiguitätstoleranz ausgestattet ist, droht es in Analogie<br />

zu entsprechenden Phänomenen auf Schülerseite verdinglicht zu werden. Dies<br />

geschieht meist in Subsumptionen der Lehrerfunktion unter entsprechende Qualitäten<br />

des Gegenstands „Literatur“ bzw. des Umgangs mit ihm. So kann der Lehrer<br />

selbst als lebendige Gestalt gestalteter Literatur oder als der professionelle Anwender<br />

methodisch gesicherter Modalitäten der Rezeption auftauchen.<br />

Die konzeptionelle Funktion der Texte lässt sich in ähnlicher Weise als zwischen<br />

den Polen von „geschlossen“ und „offen“ zusammenfassen. Als geschlossen können<br />

sie in literaturdidaktischen Interaktionsfiguren bezeichnet werden, in denen sie Werk<br />

oder Gestalt bzw. Objekt wissenschaftlicher Analyse sind. „Geschlossen“ meint dabei<br />

eine Qualität der Texte, die sie letztlich vor den rezipierenden Subjekten verschließt<br />

bzw. von diesen tendenziell eine weitgehend vollständige Anpassung an die<br />

kulturellen Zusammenhänge verlangt, in denen die Texte angesiedelt sind. Eine offene<br />

Konzeptualisierung findet sich da, wo Texte in Bezug auf die Subjekte sowohl<br />

Auslösereiz für Spiegelungs- und Identifikationsprozesse des Eigenen sind, gleichzeitig<br />

aber als Fremdes fungieren und diese Spiegelungs- und Identifikationsbewegungen<br />

in produktiver Perspektive stören und behindern. Diese Qualität der Ambi-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!