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das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

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3 Literaturdidaktische Interaktionsfiguren – eine systematische Rekonstruktion 115<br />

projektiven oder identifikatorischen Umgang mit Texten. Sie ist gleichermaßen<br />

Ähnlichkeit und Differenz, Spiegel des Eigenen und Ausdruck des Fremden. Die<br />

Verschmelzung präsentativer und diskursiver Symbolebenen im literarischen Text<br />

stellt der Literaturdidaktik die Aufgabe, didaktische Antworten auf den Umgang mit<br />

beiden Symbolebenen zu geben und in einer entsprechenden literaturdidaktischen<br />

Interaktionsfigur zu formulieren. Gerade <strong>das</strong> Übertragen einer am ästhetisch-literarischen<br />

Gegenstand möglicherweise durchaus formulierbaren Ambivalenz in literaturdidaktische<br />

Handlungszusammenhänge scheint aber ein Problem zu sein. Dies<br />

macht deutlich, <strong>das</strong>s die literaturdidaktischen Interaktionsfiguren nicht nur über ihre<br />

Gegenstände, sondern ganz wesentlich über <strong>das</strong> Vermittlungs- und Lernsetting und<br />

seine psychodynamischen Bedingungen bestimmt werden.<br />

In Rolf Geißlers Beantwortung der Frage „Wozu Literaturunterricht?“ (1970b), die<br />

als Kurzfassung seiner „Prolegomena zu einer Theorie der Literaturdidaktik“<br />

(1970a) betrachtet werden kann, sowie in den „Prolegomena“ selbst wird dieses<br />

Problem im Konzept der „didaktischen Differenz“ (1970a, 93) zu fassen versucht,<br />

ein Begriff, der deutlich die Züge eines didaktisch notwendigen Kompromisses an<br />

sich trägt.<br />

Geißler teilt die kritische Sicht auf die Literatur in der spätbürgerlichen Gesellschaft.<br />

Er konstatiert Phänomene der Massenkommunikation und der ideologischen Beeinflussung<br />

im medialen Zeitalter. Er teilt die Skepsis gegenüber dem traditionellen<br />

Kanon und fordert einen radikal neuen Begründungszusammenhang für den Literaturunterricht.<br />

Er will diesen neu begründet und nicht abgeschafft wissen.<br />

Von zwei Seiten her versucht Geißler diesen Neuanfang zu bestimmen: von der<br />

Seite des lesenden Subjekts und von der Seite der Literatur. Dabei sind lesendes<br />

Subjekt und literarisches Objekt nicht einfach zwei beliebige Elemente <strong>literarischer</strong><br />

Phänomene, sie sind vielmehr wesenhaft aufeinander bezogen:<br />

„Nun ist aber ein <strong>literarischer</strong> Text ein „Gegenstand“ sui generis. Er ist eigentlich<br />

eben kein Gegenstand. Er ist nicht etwas, <strong>das</strong> für sich da ist, sondern<br />

es gehört zu seiner Verfassung, daß er immer schon der Möglichkeit nach auf<br />

den Leser, Hörer, Zuschauer bezogen ist. Literatur ist gerade in der Weise des<br />

Bezugs und der Wirkung. Literaturwissenschaft, die heute aus guten Gründen<br />

den Phraseologien und irrationalen Äußerungen durch methodische Exaktheit<br />

zu entgehen trachtet, die aus dem unverbindlichen Meinen in den Bereich gesicherter<br />

Erkenntnisse gelangen will, amputiert aber in diesem Verfahren gerade<br />

ihren „Gegenstand“, sie kappt die eine Seite seines Wesens, eben die<br />

Wirkung auf den Leser.“ (Geißler 1970b, S. 5)<br />

Mit dieser Beschreibung kritisiert Geißler nicht nur die szientistische Abschaffung<br />

der Literatur, er antizipiert auch rezeptionsästhetische Positionen, wie sie im Bestand<br />

der dritten literaturdidaktischen Interaktionsform einen festen Platz gefunden<br />

haben. Allerdings bezieht er sich nicht explizit auf entsprechende Positionen, sondern<br />

fußt seine Überlegungen auf Gadamers philosophische Hermeneutik. Literatur-

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