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das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

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114 <strong>Jörg</strong> <strong>Steitz</strong>-Kallenbach<br />

„Die Praxis des bisherigen »kritischen« Literaturunterrichts beweist auch, daß<br />

keineswegs emotionslos analysiert und bewertet wurde: Die ideologiekritische<br />

Arbeit ist bei allen Beteiligten hoch affektbesetzt; politische Lehrer werden oft<br />

als Eiferer abgelehnt, im Unterricht kommt es zu Polarisierungen; die emotionale<br />

Einstellung zu den Werten und Haltungen, zu denen der Unterricht hinführen<br />

soll, ist so stark ausgeprägt, daß häufig in Gesprächen über Literatur<br />

der »Indoktrinationsvorwurf« laut wird. Dies alles spricht dafür, daß es dem<br />

kritischen und historischen Unterricht nicht an emotionaler Beteiligung, wohl<br />

aber an der vom Schüler gewünschten Art der emotionalen Beteiligung fehlt.<br />

In der Unterrichtsbeobachtung muß deutlich unterschieden werden zwischen<br />

der »Begeisterung«, die durch historische Einsicht entzündet wird (...), dem<br />

emotiven Bedürfnis der Schüler, über sich selbst und ihre Probleme zu sprechen,<br />

der emotional stark besetzten Abwehr gegenüber geforderten Einstellungsänderungen,<br />

den Formen ästhetischen Vergnügens (z. B. der Identifikation<br />

mit fiktiven Personen, dem »Mitleiden« mit ihren Schicksalen, auch dem<br />

Vergnügen produktiven Eingreifens in Texte), der emotionalen Prägung durch<br />

Erfahrungen mit Schule, dem Lehrer, den im Text verhandelten Themen, den<br />

Mitschülern der Lerngruppe. Die didaktische Planung muß in einer Art Faktorenmodell<br />

die verschiedenen Formen emotionaler Beteiligung zu antizipieren<br />

versuchen und methodische Überlegungen darüber möglich machen, wie im<br />

konkreten Fall der Weg zu einem Einsicht erzeugenden Vergnügen am Verstehen<br />

ästhetischer Texte gangbar sein könnte.“ (a.a.O., 73)<br />

Die Textpassage hinterlässt den Eindruck eines Kampfes um die „richtige“ Emotionalität.<br />

Nur gesteuerte, geplante, rational durchgearbeitete Emotionalität ist akzeptable<br />

Emotionalität. Einige Formen der Emotionalität werden literaturdidaktisch<br />

auf-, andere abgewertet. Statt Arbeit an der Differenz erfolgt Setzung. Emotionen<br />

und Affekte sind gerade dadurch gekennzeichnet, <strong>das</strong>s sie nicht in jeder Hinsicht<br />

antizipierbar und planbar sind. Das didaktische Konzept, <strong>das</strong> sich diesem Problem<br />

stellt, hätte sich mit der Ambiguität ästhetischer Texte und ihrer Rezeption zu beschäftigen.<br />

Stattdessen wird die kognitive Perspektive durchgesetzt. Beziehungsdynamisch,<br />

so könnte man vermuten, entsteht <strong>das</strong> Vergnügen daher als Lust an der<br />

Unterwerfung unter die Planungen des Lehrers bzw. an der Durchsetzung der rationalen<br />

Perspektiven des Lehrers.<br />

3.3.3.5 „Didaktische Differenz“ als Lösung für die Ambivalenzen der<br />

Wissenschaftsorientierung?<br />

Der ‚Subjektivismus’ der Orientierung an Leseerlebnissen der Schüler, wie er sich in<br />

Kreis’ Überlegungen von 1980 abzeichnet, und der ‚Objektivismus’ Fingerhut’scher<br />

Prägung sind Kehrseiten ein und derselben Medaille und gründen in einem Verständnis<br />

der ästhetischen Gegenstände des Unterrichts, <strong>das</strong> scheinbar deren Ambivalenz<br />

nicht auszuhalten vermag und in dieser Form als Antagonismus der literaturdidaktischen<br />

Interaktionsform „Das Verschwinden der Subjekt unter dem Gewand<br />

der Wissenschaft“ eingeschrieben scheint. Literatur ist weder nur ein Auslöser für<br />

rationale, historisch-kritische Rekonstruktionen, noch ist sie Auslöser nur für einen

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