01.12.2012 Aufrufe

das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

3 Literaturdidaktische Interaktionsfiguren – eine systematische Rekonstruktion 109<br />

Dieser Lernzielbestimmung folgt ein 3½-seitiger Aufgabenkatalog, der zum Teil<br />

sehr kleinschrittig Aufgaben zur Textarbeit und zur Arbeit mit ergänzenden Dokumenten<br />

entfaltet. So nachvollziehbar die Aufgaben im Sinne eines textnahen, kritischen<br />

Lesens sind, so wenig entsteht die Gesamtsicht der von Kreis entfalteten Deutung<br />

aus bloßer Addition der Ergebnisse der Schüleranalysen. Das konkrete Tun der<br />

Schüler besteht im mechanischen Nachvollzug der durch die Leitfragen vorstrukturierten<br />

sozialhistorischen Analyse. Weder reflektiert Kreis die spezifischen Verstehensvoraussetzungen<br />

für historische Zusammenhänge der geschilderten Art, noch<br />

wird die grundsätzliche Frage angeschnitten, ob der schulische Literaturunterricht<br />

überhaupt die Aufgabe hat, literaturwissenschaftliche Kompetenz im hier entfalteten<br />

Umfang zu entwickeln. Ersteres würde eine konkretere Betrachtung von Schülern<br />

und ihrer literarischen und historischen Verstehensvoraussetzungen und letzteres<br />

eine grundlegende Bestimmung des Verhältnisses von Literaturwissenschaft und<br />

Literaturdidaktik erfordern. Dies leisten die Modelle eines kritischen Literaturunterrichts<br />

nicht, bzw. sie binden den Literaturunterricht an literaturwissenschaftlich akademische<br />

Perspektiven.<br />

In ihrer stringenten Gegenstandsorientierung sind die Modelle eines kritischen Literaturunterrichts<br />

mitunter aber nur die Kehrseite jener Autorität und Macht, von der<br />

sie sich zu entfernen anschickten. Gerade die Möglichkeit einer Weiterentwicklung<br />

literaturdidaktischer Vorstellungen zur Arbeit mit der „Judenbuche“, wie sie Rudolf<br />

Kreis (1980) selbst mit seinem Buch „Die verborgene Geschichte des Kindes in der<br />

deutschen Literatur. Deutschunterricht als Psychohistorie“ vorgelegt hat, lässt etwas<br />

von dem Zwang erahnen, mit dem die kritischen Literaturdidaktiker auch mit sich<br />

selbst umgegangen sind. In diesem Sinne kann man die theoretischen Bezugspunkte<br />

der Arbeit von 1980 45 durchaus als Befreiungsschlag werten 46 . Während <strong>das</strong> Unterrichtsmodell<br />

für <strong>das</strong> „projekt deutschunterricht“ zwar methodisch und analytisch exakt<br />

gearbeitet ist, aber abstrakt und blutleer wirkt, verbindet die Darstellung zur „Judenbuche“<br />

von 1980 (S. 54 – 122) literaturwissenschaftliche Genauigkeit mit empathischer<br />

Lektüre des Texts, der nun nicht mehr nur Dokument historischer Verhältnisse<br />

ist, sondern auch als individueller Versuch der historischen Subjekte gesehen<br />

wird, mit den Bedingungen ihrer Existenz zurechtzukommen. Diese Lesart von<br />

Texten vermag ihnen dann auch Bedeutung für die Gegenwart heutiger Leser abzugewinnen.<br />

Dementsprechend ist die neue Zielbestimmung eine explizit schülerorientierte:<br />

„Lesen wird nur da zum lebendigen Akt, wo es als Wissenwollen, als Archäologie<br />

betrieben wird, bei der <strong>das</strong> auszugrabende »Troja« die historische<br />

Persönlichkeit des Schülers selbst ist. Selbsterkenntnis ist aber nur da ge-<br />

45 Es handelt sich um die von Lloyd deMause herausgegebene Sammlung „Hört ihr die Kinder weinen“<br />

(1974, dt. 1977), Katharina Rutschkys Sammlung „Schwarze Pädagogik“ (1977) sowie Alice Millers<br />

„Das <strong>Dr</strong>ama des begabten Kindes“ (1979).<br />

46 Kritisches zu den literaturdidaktischen Implikationen dieser Befreiungsschläge u.a. bei Bürger (1980),<br />

Fingerhut (1980b) und Kreft (1980b).

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!