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das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

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154 <strong>Jörg</strong> <strong>Steitz</strong>-Kallenbach<br />

„handelnde Veränderung des Literaturunterrichts nicht bei den Eingreif- und<br />

Alternativtexten stehen bleiben kann. Auch der gesamte übrige Arbeitsprozeß<br />

im Literaturunterricht muß gegenüber der konventionellen Handhabung ‚verfremdet’<br />

werden. (...) Dieser Arbeitsprozess darf nicht naturwüchsig belassen<br />

bleiben, sondern muß stark formalisiert und durchorganisiert werden, um ihn<br />

den eingeschliffenen Interpretationsritualen zu entreißen.“ (a.a.O., 91)<br />

Aus Schülersicht kann genau dies als neue Gewalt verstanden werden. Die Lehrer<br />

und mit ihm <strong>das</strong> didaktische Konzept würden so wiederholen, was sie zu überwinden<br />

angetreten sind und was sie gegebenenfalls selbst als Schüler erfahren und erlitten<br />

haben. Das dem Unterricht implizite Interaktionskonzept, die literaturdidaktische<br />

Interaktionsfigur, scheint mit einer anti-institutionellen, anti-kulturellen Wut<br />

verknüpft, die sich in einem Konzept einen Weg bahnt, der die realen Subjekte hinter<br />

sich lässt. Dieses Hinter-sich-Lassen der Subjekte könnte so als unbewusst motivierte<br />

umgekehrte Wiederholung des Leidens verstanden werden, <strong>das</strong> im Sinne des<br />

„Unbehagen(s) in der Kultur“ (Freud 1930a) mit Prozessen der Enkulturation immer<br />

auch verbunden ist. Gerade auf Lehrerseite kann sich ein solches Geschehen mit der<br />

institutionellen Macht paaren und bei Schülern jenes Gefühl von Ohnmacht erzeugen,<br />

<strong>das</strong> wiederum Grundlage erneuter bzw. erneuerter anti-institutioneller und antikultureller<br />

Wut werden kann.<br />

Wie sehr Rezeption daher neben dem Text auch einer personalen Dimension bedarf,<br />

die gleichwohl nicht mit Text und Kultur verschmilzt, sondern die Ambivalenzen<br />

„primärer“ und „sekundärer“ Textrezeption, differenter Verstehensansätze in sich<br />

vereint, wird in Rupps Überlegungen genau da deutlich, wo er sich als teilnehmender<br />

Forscher-Lehrer entsprechenden Forderungen der Schüler verweigert. Dem<br />

Wunsch der Schüler auf Eindämmung der Interpretationsvielfalt begegnet Rupp in<br />

einer Unterrichtsszene mit dem sachlich wirkenden und forschungslogisch begründeten<br />

Hinweis darauf, <strong>das</strong>s er genau an dieser Vielfalt interessiert sei, er notiert<br />

gleichwohl aber heftige aggressive Impulse seinerseits gegenüber den Schülern, die<br />

jedoch nicht zu einem tieferen Verstehen der Szene genutzt werden (vgl. a.a.O.,<br />

121).<br />

Die Vervielfältigung von Verstehenszugängen und die Multi-Dimensionalität der<br />

Textrezeption rückt die Subjekte letztlich nicht nur deshalb in den Vordergrund,<br />

weil sie diese Vielfalt herstellen und vollziehen, sondern auch weil sie <strong>das</strong> Umgehen<br />

mit dieser Vielfalt lernen, also Ambiguitätstoleranz entwickeln müssen.<br />

3.3.7.2 Dekonstruktion als Methode des textnahen Lesens<br />

Die im letzten Abschnitt herausgearbeitete ambivalente Position der Subjekte in der<br />

dekonstruktivistischen Facette der literaturdidaktischen Interaktionsfigur der Wissenschaftsorientierung<br />

zeigt sich auch da, wo sich Dekonstruktion als textnahes (vgl.<br />

Belgrad/Fingerhut [Hg.] 1998) Verfahren des Literaturunterrichts präsentiert. Während<br />

einerseits dekonstruktivistische Lektüre von Texten als explizite Abkehr von<br />

erlebnis- und subjektorientierten Zugängen zu Literatur dargeboten ( vgl. u.a. Förster

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