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das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

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1 Das Gewebe <strong>literarischer</strong> Erfahrung: eine Einführung 7<br />

spielerische Rekapitulation des Texts voranzustellen. Für diese vertiefende Rekapitulation<br />

des Texts war eine Umschrift des Texts in Form eines Rollenbuchs<br />

vorbereitet worden. Vor der Wiederaufnahme der szenisch-spielerischen Umsetzung<br />

zieht sich Herr Behrend jedoch mit den bereits zitierten Worten zurück:<br />

„Nein, ich mache hier nicht mehr mit. Ich kann mich nicht in die Rolle einfühlen.<br />

Sie ist mir so fremd.“<br />

Noch bevor dieser Rückzug sich auf die weitere Arbeit auswirken kann, springt<br />

Frau Leitner in die Bresche und erklärt sich bereit, die Rolle des jungen Mannes<br />

zu übernehmen. Ihr Spiel beeindruckt gleichermaßen den Seminarleiter, die Mitspielerinnen<br />

und die Seminarteilnehmer, die gleichwohl in passiver Distanz zunehmend<br />

die Rolle von Zuschauern übernehmen. Frau Leitner ist sehr gut in<br />

der Rolle und es gelingt ihr eindrucksvoll, <strong>das</strong> gesprochene Wort nicht zu sehr<br />

in den Vordergrund zu rücken, sondern es mit entsprechenden Haltungen zu<br />

verknüpfen. Die Verstörtheit des jungen Mannes wird sehr gut deutlich. Die<br />

Kommilitonen sind sehr beeindruckt und drücken dies in einer kurzen Reflexion<br />

aus. Der Seminarleiter fühlt sich durch <strong>das</strong> aktive Mittun von Frau Leitner entlastet,<br />

sie rettet gewissermaßen die Situation und trägt wesentlich dazu bei, <strong>das</strong>s<br />

ein Arbeitsergebnis überhaupt entsteht, <strong>das</strong> der Reflexion zur Verfügung steht.<br />

Die methodischen Einwände aus der Zwischenreflexion werden noch etwas<br />

vertieft und sodann Borcherts Text ob seiner Spielpotentiale eingeschätzt und<br />

mit anderen Texten, die im Seminar bisher Thema waren, verglichen. Der Seminarleiter<br />

ist innerlich währenddessen aber mit dem ‚Ausstieg’ von Herrn Behrend<br />

beschäftigt. Er entschließt sich die Situation im Sinne einer methodenkritischen<br />

Reflexion zu erweitern.<br />

„Können Sie sagen, was Ihnen an der Figur des jungen Mannes in der Geschichte<br />

nicht gefällt“, fragt der Seminarleiter Herrn Behrend. Dieser drückt sich<br />

vor einer klaren Antwort, der Seminarleiter spürt, <strong>das</strong>s er Herrn Behrend auf<br />

den ‚Pelz rückt’ und reagiert, indem er seine Frage und seinen Vorstoß rechtfertigt<br />

und mit einem Hinweis auf meta-methodische Überlegungen begründet.<br />

„Es kann ja sein, <strong>das</strong>s die Figur etwas enthält, was zu diesem Rückzug geführt<br />

hat.“ - „Wie meinen Sie <strong>das</strong>?“ will Herr Behrend in forschem Ton wissen. Der<br />

Seminarleiter schildert seinen Eindruck von Herrn Behrends intensivem Spiel,<br />

<strong>das</strong> für ihn mit dem behaupteten Nicht-Einfinden-Können in die Rolle kontrastiert.<br />

Diese Erläuterung führt zu Unruhe im Seminar, die von Frau Leitner und<br />

Frau Haller mit dem Hinweis zum Ausdruck gebracht wird, <strong>das</strong>s solche Überlegungen<br />

nicht relevant seien. „Würden Sie so auch bei einem Schüler oder einer<br />

Schülerin in der Schule bohren?“ Dies wird vom Seminarleiter verneint, die Intervention<br />

jedoch mit dem Hinweis darauf verteidigt, <strong>das</strong>s es für Lehrer wichtig<br />

sei, mögliche Gründe für <strong>das</strong> Verhalten ihrer Schüler zu kennen, Reaktionen auf<br />

Methoden, die man zum Einsatz bringt, beurteilen und einschätzen zu können.<br />

Außerdem sei man an der Universität ja in einer Ausbildungssituation, die gerade<br />

auf einer Metaebene deutlich über <strong>das</strong> hinausgehen müsse, was in der Praxis<br />

dann erfolge. Der Seminarleiter fühlt sich, als wäre <strong>das</strong> Seminar in einer kleinen<br />

Kampfsituation: Er will etwas, was die Studierenden ‚besitzen’, aber nicht<br />

‚hergeben’ wollen. Herr Behrend bezweifelt, ob solche „Psychologisierereien“<br />

überhaupt etwas bringen. Der Seminarleiter fühlt sich attackiert, ist innerlich bereits<br />

fast bereit zu ‚kapitulieren’ und betont nur noch im Sinne eines letzten<br />

Aufbäumens, „nicht psychologisiert“ zu haben. Dann jedoch setzt Herr Beh-

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