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das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

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4 Literatur - Interaktion - Identität: Fallbeispiele aus dem Literaturunterricht 243<br />

schen Nähe und Distanz im konzeptuellen Zusammenhang der literaturdidaktischen<br />

Interaktionsfigur „Identifikation und Differenz“ die notwendige Basis bildet.<br />

Die Arbeit mit dem Text entfaltete sich in der<br />

Wahrnehmung des Lehrers ohne Schwierigkeiten<br />

und mit großem Interesse seitens der Schüler. So<br />

wurden beispielsweise in szenischen Herangehensweisen<br />

an den Text Standbilder erarbeitet, die die<br />

personale Repräsentanz des auf Hans Giebenrath<br />

lastenden Erwartungsdrucks zum Ausdruck bringen<br />

sollten. Die Verschiedenartigkeit der Lösungen der<br />

Aufgabe ebnete den Weg für eine mehr analytische<br />

Textarbeit, deren Aufgabe die Verifikation der produktiven<br />

Gestaltungen in Form schriftlicher Charakteristiken<br />

war. Aufgaben produktiven Schreibens<br />

in Reaktion auf den Text wurden nicht nur willig,<br />

sondern scheinbar mit jener inneren Beteiligung<br />

durchgeführt, die sich der Lehrer bei seinen<br />

didaktischen Entscheidungen gewünscht hatte.<br />

Weitere analytisch-interpretative Arbeitsweisen, darunter auch biografische<br />

Deutungsansätze für den ganzen Text unter<br />

Hinzuziehung aussagekräftiger Materialien aus<br />

der Hesse-Biografik, entfalteten sich in<br />

fachdidaktisch fruchtbarer Dichte und in<br />

pädagogisch erwünschter Harmonie.<br />

Den Abschluss der Unterrichtseinheit bildete eine<br />

Klassenarbeit, in der den Schülern u.a. die Aufgabe<br />

gestellt war, <strong>das</strong> Buch in Form einer Buchempfehlung<br />

abschließend zu beurteilen. Und wie<br />

überrascht war der Lehrer, als er sich im Grunde<br />

nur Verrissen gegenübersah. Vor allem die Jungen<br />

hatten an „Unterm Rad“ kaum ein gutes<br />

Haar gelassen. Die Distanzierung kontrastierte<br />

auf zunächst unverständliche Weise mit der In-<br />

Abb. 38 -<br />

1. Standbild zu „Unterm Rad“<br />

tensität und der Harmonie des abgelaufenen Unterrichts.<br />

Da die Klassenarbeit die Unterrichtseinheit<br />

abgeschlossen hatte, gab es keinen Kon-<br />

Abb. 39 -<br />

2. Standbild zu „Unterm Rad“<br />

sens darüber, noch einmal in die Arbeit an dem Buch einzusteigen. Der Lehrer<br />

hätte ihn erzwingen müssen und darauf wollte er verzichten. Er hatte daher ein<br />

deutliches Gefühl des Scheiterns, auch wenn die Lernziele der Unterrichtseinheit<br />

im klassischen Sinne erreicht worden waren.<br />

Ein retrospektiver Blick auf die geschilderte Sequenz könnte <strong>das</strong> Gefühl des Scheiterns<br />

auf Seiten des Lehrers dahingehend zu erklären versuchen, <strong>das</strong>s einerseits die<br />

erotische Spannung in der Beziehung zwischen Hans Giebenrath und Hermann<br />

Heilner und andererseits <strong>das</strong> Exzessive und Unbegriffene von Hans Giebenraths<br />

Triebhaftigkeit am Ende des Romans gerade für die Jungen sehr nahe und damit sehr<br />

bedrohlich war. So konnte der Lehrer immer wieder erleben, <strong>das</strong>s die Jungen von

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