das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...
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4 Literatur - Interaktion - Identität: Fallbeispiele aus dem Literaturunterricht 263<br />
hindern dadurch den Arbeitsprozess und lösen so heftige gruppeninterne Diskussionen<br />
aus. Der Arbeitsprozess der anderen Gruppen wird kritisch verfolgt und mitunter<br />
abgewertet. Die Frage, wer nun in der Gruppe <strong>das</strong> Sagen hat, wessen Vorschläge<br />
umgesetzt werden sollen, ist Gegenstand aggressiver Auseinandersetzung.<br />
Die Thematisierung dieser Beobachtungen zur Widerstandskultur der Gruppe wäre<br />
der Gegenstand einer analytischen Gruppenpsychotherapie, in der jedoch die Gesamtgruppe<br />
sicher nicht in real existierende Untergruppen im Sinne der Arbeitsgruppen<br />
des Unterrichts aufgeteilt worden wäre. Die Bewusstmachung gruppenanalytischer<br />
Zusammenhänge des unterrichtlichen Geschehens geschieht in erster Linie<br />
beim Lehrer und bleibt in seinen expliziten Momenten auch bis auf wenige Ausnahmen<br />
bei ihm angesiedelt. Darin unterscheiden sich Gruppenanalyse von einer<br />
gruppenanalytischen Betrachtung von Unterrichtsprozessen. Das Verstehen des Lehrers<br />
trägt jedoch dazu bei, die Gruppe auch angesichts der emotionalen Erregungen,<br />
die der szenische Auslösereiz hervorgerufen hat, arbeitsfähig zu halten, ohne <strong>das</strong>s<br />
die Bedeutung des Ausgelösten geleugnet werden müsste, weil es im intermediären<br />
Raum einer impliziten Beschäftigung weiterhin zur Verfügung stehen kann.<br />
Alle Gruppen präsentierten abschließend ihre Ergebnisse. Die Darstellungen erfolgten<br />
hintereinander ohne Pause und wurden auf Video aufgezeichnet. Diese<br />
Videoaufzeichnung bildete dann den Gegenstand der abschließenden Gruppendiskussion,<br />
sie führte somit die einzelnen Gruppenergebnisse zu einem Gesamtprodukt<br />
zusammen, <strong>das</strong> von der Gruppe auch als solches behandelt wurde.<br />
Wie bereits angedeutet, haben die drei Gruppen sowohl in der Auswahl der Passagen<br />
aus Horvaths „Glaube Liebe Hoffnung“ als auch in ihren jeweiligen Aktualisierungen<br />
<strong>das</strong> Thema „Abschied und Perspektive“ auf ihre Art thematisiert.<br />
Zusätzlich wurde es auch in den metakommunikativen Rahmenszenen behandelt.<br />
Dabei wurde noch einmal die Bandbreite des Themas deutlich, wie sie sich<br />
zwischen Wünschen nach Abhängigkeit und denen nach gelingender Autonomie<br />
erstreckt.<br />
Die Arbeitsgruppe eins und drei zeigten in ihren Bildern der Gruppe zu Beginn<br />
des Arbeitsprozesses die Dominanz der Grundannahme der Abhängigkeit. Die<br />
Schüler sind in einem Standbild um den Lehrer herumgruppiert, wenden sich<br />
fordernd an ihn. Der Lehrer verweigert sich in beiden Bildern aber der Forderung<br />
seiner Schüler. In ihrem Bild nach Ende des Arbeitsprozesses kommen die<br />
Mitglieder der ersten Arbeitsgruppe zu einem Gespräch zusammen, in dem bedauert<br />
wird, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Problem der Gesamtgruppe, wie es sich zu Beginn der Arbeit<br />
in den Arbeitsgruppen gezeigt habe, nicht gelöst worden sei. Stattdessen<br />
habe eine Aufspaltung der Gruppe in drei Untergruppen stattgefunden. Diese<br />
seien zwar in hohem Maße arbeitsfähig gewesen, hätten sich aber durch Homogenität<br />
ausgezeichnet, was wiederum bedeute, <strong>das</strong>s den Differenzen der Gesamtgruppe<br />
aus dem Weg gegangen worden sei.<br />
Diese Schülergruppe beschreibt damit genau <strong>das</strong> Wirken der Widerstandskultur, wie<br />
es oben angedeutet wurde. Sie zeigt damit gleichzeitig, <strong>das</strong>s emotionale Lernprozesse,<br />
wie sie in einem im Spannungsfeld von Nähe und Distanz zum literarischen<br />
Gegenstand angesiedelten Literaturunterricht immer auch neben kognitiven Lern-