01.12.2012 Aufrufe

das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

4 Literatur - Interaktion - Identität: Fallbeispiele aus dem Literaturunterricht 255<br />

Christa T., die sie in ihrem Abschlussbericht wie folgt beschrieb. „Zeitweilig<br />

hatten wir <strong>das</strong> Gefühl, in einem Meer von Materialien zu ertrinken, da uns so<br />

Vieles wichtig erschien, was in unseren Bericht sollte. ‘Wir waren unterwegs,<br />

und etwas Wind war immer da, mal uns im Rücken, mal uns entgegen. Wir sind<br />

es nicht, doch wir werden es sein, wir haben es nicht, doch wir werden es haben,<br />

<strong>das</strong> war unsere Formel’ (101).“ (aus dem Gruppenbericht)<br />

Das Beispiel dieser Fallvignette zeigt eine substantielle Herausforderung literaturdidaktischer<br />

Konzeptionsbildung im Kontext der literaturdidaktischen Interaktionsfigur<br />

„Identifikation und Differenz: literarische Sozialisation“. Das literarische Verstehen<br />

zielt gerade bei Texten der literarischen Moderne nicht nur auf die Ebene des<br />

in den Texten gestalteten Wirklichkeitsbezugs, sondern es zielt auf die Konstitutionsprinzipien<br />

einer innerliterarischen Wirklichkeit und ihres Verhältnisses zur außerliterarischen<br />

Wirklichkeit, zielt auf die Prinzipien ästhetischer Symbolisierung<br />

selbst. Und wenn diese Symbolisierungen <strong>das</strong> Ich selbst zum Gegenstand haben,<br />

dann ist literarisches Verstehen mit Selbst-Verstehen und seinen Prinzipien verknüpft.<br />

Die Standbilder als Symbolisierungsversuche zu Stand und Schwierigkeit<br />

des unterrichtlich-literarischen Verstehensprozesses zeigen die essentielle Dimension<br />

der interaktionellen Einbettung des Verstehensprozesses gerade auch hinsichtlich<br />

der adoleszenten Entwicklungsaufgaben. Die Frage „Wer bin ich?“ wird hier<br />

nicht nur mit dem Problem literar-ästhetischer Symbolisierung verknüpft („Wie bin<br />

ich, was ich bin?“), sondern auch mit den interaktionellen Bezügen dieser Fragen.<br />

Die Beziehungen zu den Mitschülern<br />

sowie die zum Lehrer werden als<br />

wichtige Bezugsebenen des Verstehensund<br />

Selbstvergewisserungsprozesses<br />

deutlich: Das Miteinander mit den<br />

Mitschülern ist ein Zerren und Ziehen,<br />

ein unentwirrbar scheinender Knäuel, es<br />

wird als beziehungslos erlebt und ist<br />

von Wünschen aneinander geprägt. Der<br />

Lehrer wirkt bedrückend, scheint distant,<br />

sei es nun als Beobachter oder als<br />

Vorauseilender: Dies sind Fragen an die<br />

Verlässlichkeit des Interaktionsgefüges<br />

der literaturrezipierenden Gruppe vor<br />

dem Hintergrund der In-Fragestellungen<br />

durch den literarischen Text.<br />

Abb. 43 - Nachdenken über Christa T. -<br />

Standbild 4<br />

Dass diese Prozesse nicht auf ein singuläres<br />

Unterrichtsereignis bezogen sind,<br />

sondern allgemeinere Bedeutung haben,<br />

lässt sich nicht wie in einem<br />

naturwissenschaftlichen Experiment belegen. Das interaktionelle Geschehen ist zu<br />

komplex, um im Sinne experimenteller Versuchsanordnungen wiederholbar zu sein.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!