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das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

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250 <strong>Jörg</strong> <strong>Steitz</strong>-Kallenbach<br />

inneren psychischen Struktur auch mit Selbst-Repräsentanzen verbunden. Die Verknüpftheit<br />

beider erlebt die Erzählerin als genau jenen Prozess, mit dem sie unvorhersehbar<br />

statt vor Christa T. vor sich selbst steht. Der Erzählprozess ist also ein<br />

Zur-Sprache-Bringen jener zu Beginn des Prozesses nicht bewussten Verknüpfung<br />

von Objekt und Selbst, von den an <strong>das</strong> Objekt geknüpften Elementen des eigenen<br />

Identitätsgefühls. Mit aller Vorsicht kann man diesen Prozess als einen selbstanalytischen<br />

Prozess bezeichnen, bei dem es um die Entzifferung szenischer Bedeutungen<br />

geht, die sich an die Objekt-Repräsentanz „Christa T.“ knüpfen. Dass Christa T.<br />

nicht irgendeine Person im Leben der Erzählerin ist, zeigen die Stationen, an denen<br />

sich die Lebenswege der beiden Frauen kreuzen, an denen Begegnungen mit Christa<br />

T. für die Erzählerin szenische Bedeutung gewinnen: Schule - Umgang mit schulischen<br />

Autoritäten - Studium - staatliche Autoritäten - Beziehungen zu Männern -<br />

Konkurrenz unter den Kommilitonen - weibliche Identität zwischen Beruf und Familie.<br />

Die Herstellung erzählerischer Kontinuität und eines manifesten Sinns erscheint<br />

mitunter als bloß äußere Notwendigkeit, die für die latente Bedeutung der erzählten<br />

Szene nicht wirklich zwingend notwendig ist. Die Geschichte der vorgestellten Konfrontation<br />

zwischen Gertrud Born/Dölling (Wolf 1968, 49ff) ist ein Beispiel unter<br />

vielen für diese an die Traumarbeit erinnernde erzählerische Technik. Der mitunter<br />

fehlende manifeste Sinn der Erzählung macht <strong>das</strong> Lesen schwer, weil er die Leser<br />

fordert: Sie sehen sich mit szenischen Elementen konfrontiert, deren innerer Zusammenhang<br />

nicht offen daliegt, der aber als Mitteilung aus dem Unbewussten der<br />

Erzählerin bzw. des Texts sich an <strong>das</strong> Unbewusste der Leser richtet. Diese können<br />

nun selbst die szenische Qualität des Buchs auf sich wirken lassen und <strong>das</strong> Buch<br />

fortschreiben, indem sie da und dort einhalten, um sich den eigenen, mitunter konfrontativen<br />

Assoziationsketten zu überlassen. Sie können aber auch die Wirkungen<br />

des Buchs verdrängen, indem sie es auf der Ebene manifesten Sinns für defizitär erklären.<br />

Es wurde bereits darauf hingewiesen, <strong>das</strong>s die Spätadoleszenz, jene Entwicklungsphase,<br />

in der sich auch die Schüler der Fallvignette befanden, durch die Aufgabe gekennzeichnet<br />

ist, die neugewonnene Stärke des adoleszenten Ichs für die Arbeit der<br />

seelischen Integration zu nutzen. Werner Bohleber (1993) weist in seinem Aufsatz<br />

„Seelische Integrationsprozesse in der Spätadoleszenz“ darauf hin, <strong>das</strong>s diese seelische<br />

Integration u.a. einen erheblichen Anteil an Erinnerungsarbeit enthält.<br />

„Die adoleszente Frage: ‘Wer bin ich?’ bringt auch eine aktive Auseinandersetzung<br />

mit den eigenen Erinnerungen in Gang. Sie ist psychodynamisch mit<br />

der Aneignung des sexuell reifen Körpers und mit der Ablösung von den infantilen<br />

Bezugspersonen verbunden. (...) Im Lichte der Gegenwart eignet sich<br />

der Jugendliche seine Vergangenheit aktiv an.“ (ebenda, S. 56)

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