01.12.2012 Aufrufe

das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

3 Literaturdidaktische Interaktionsfiguren – eine systematische Rekonstruktion 105<br />

transparent, wird mehrfach skizziert und dem Text eingeschrieben. Dieser Leser ist<br />

Bodo Lecke selbst, der Weniges, aber Bedeutsames von sich in der Absicht mitteilt,<br />

<strong>das</strong>s <strong>das</strong> Besondere als Ausdruck des Allgemeinen verstanden werden kann.<br />

Im Zusammenhang der Argumentation, <strong>das</strong>s die bildungsbürgerliche Stilisierung<br />

Goethes immer auch verbal aggressive, zerstörerische Impulse gegen Goethe zum<br />

Komplement hatte, zitiert Lecke einen imaginären, satirischen Schüleraufsatzes (vgl.<br />

Lecke 1978, 207), in dem die Form der Lobrede auf den Dichterfürsten persifliert<br />

wird. Lecke beendet sein Zitat des Aufsatzes mit den Worten:<br />

„Weiterer Beispiele einer geradezu obszönen und pornographischen Abwehr<br />

des Klassiker-Kults wird sich jeder von uns aus seiner Kindheit erinnern.“<br />

(ebenda)<br />

Zwar zitiert Lecke solche Beispiele nicht selbst, aber mit dem Hinweis auf die Quellen<br />

Bornemann (1973, 1974, 1976) und Rühmkorf (1967) ist klar, was Lecke hier<br />

meint.<br />

Goethe spielt Flöte<br />

Auf Schiller seinem Diller.<br />

Goethe sprach zu Schiller<br />

Hol aus dem Arsch nen Triller<br />

Schiller sprach zu Goethe<br />

Mein Arsch ist keine Flöte. (Rühmkorf 1967, 56)<br />

Mit dem „uns“ verallgemeinert Lecke eine literarische Erfahrung, die als wichtige<br />

Triebfeder seiner literaturdidaktischen Perspektiven deutlich wird. Es geht um <strong>das</strong><br />

Gefühl einer Abwehr dessen, was dem Kind aufgezwungen wurde. Der Zerstörungswille,<br />

der sich im Kindesalter u.a. jene volksliterarischen Ventile suchte, wie<br />

sie sich bei Rühmkorf finden und wie sie Lecke noch 1978 lebhaft vor Augen hat,<br />

findet im Erwachsenenalter eine ideologiekritische Überformung. Die Erinnerungsspuren<br />

und die mit ihnen verbundenen Gefühle finden aber ihren Weg in die Gegenwart.<br />

Die ideologiekritische Variante der literaturdidaktischen Interaktionsfigur<br />

der Wissenschaftsorientierung ist auch in ihrer rezeptions-, besser wirkungsgeschichtlichen<br />

Reformulierung u.a. gespeist von einer Wut gegen den zu kritisierenden<br />

Zusammenhang, die auf kindlich-jugendliche Leidens<strong>erfahrung</strong>en verweist. So<br />

heißt es an einer zweiten Stelle, die in signifikanter Weise den Knaben Bodo Lecke<br />

zeigt:<br />

„Unter welchen Aspekten mir selbst als Schüler – im Deutschunterricht –<br />

Goethe mehr oder weniger nahe gebracht wurde, habe ich erst mit gut zwei<br />

Jahrzehnten Verspätung halbwegs kapiert. Eine fast ungebrochene Tradition<br />

des Faschismus in der Literatur selbst und in der ihr verbundenen Germanistik

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!