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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 106<br />

Reihen welche, die sich fallen ließen, wenn sie die letzte Widerstandsgrenze<br />

erreichten, den Schmelzpunkt. Es gab jedoch sogar unter diesen welche, die<br />

sich erholten, gerade wenn die Moral der Mehrheit sich kräftig regenerierte. Was<br />

die Angeworbenen betrifft, so hatte der NKVD, im Bilde über die organische<br />

Abneigung der Rumänen gegen den Kommunismus, die Diplomatie, ihnen<br />

diesen nicht von Anfang an in die Köpfe trichtern zu wollen, sondern diesen<br />

vorab mittels intermediärer Plattformen, die leichter verdaulich waren, an den<br />

Mann zu bringen. Eine solche scheinbar nichtoffensive Plattform war der<br />

Antifaschismus, den die Betreffenden, f<strong>ro</strong>h darüber, dass man nicht mehr von<br />

ihnen gefordert hatte, aufatmend annahmen. War der Pakt mit dem Teufel aber<br />

erst einmal unterzeichnet, änderte sich das Los der Gefangenen in<br />

bezeichnendem Maße. Von der schweren und schlecht bezahlten Arbeit – die<br />

Gefangenen, sogar die Offiziere (bis zum Rang des Hauptmanns) waren<br />

gezwungen, zu arbeiten und erhielten dafür ein symbolisches Plus an Nahrung –<br />

wurde dem Betreffenden eine leichtere Arbeit zugeteilt, in einem der<br />

Dienstbereiche des Lagers, wofür er aus der Küche auch ein substantielles<br />

Zub<strong>ro</strong>t bekam (das man natürlich von unserer aller Ration abzwackte). So kam<br />

es, dass sein physisches Aussehen – das in zwei, drei Wochen normal wurde, ja<br />

ihn sogar als wohlgenährt auswies – sich klar absetzte von jenem der Schatten<br />

von Menschen, welche die Plattform nicht unterzeichnet hatten. All diese Dinge<br />

sollten sich uns später offenbaren, als wir nach und nach diese „Altgefangenen“,<br />

die nicht in den Dienstleistungsbereichen arbeiteten, näher kennen lernten.<br />

Vorerst erfuhren wir von unseren Friseuren nichts Besonderes, obwohl etwa zwei<br />

von ihnen unter uns alte Regimentskameraden und Freunde fanden, mit denen<br />

sie sich auch umarmten. Auf unsere Fragen aber antworteten sie recht<br />

abweisend, irgendwie konventionell, schablonenhaft; als seien sie<br />

vorp<strong>ro</strong>grammiert worden. Im G<strong>ro</strong>ßen und Ganzen ging ihr Diskurs von der<br />

Prämisse aus, dass die Mächte der Achse die Partie verloren haben, und<br />

gelangte zu der Schlussfolgerung, dass wir, um unser Land aus dem Krieg<br />

rauszuholen, genau wie sie der antifaschistischen Plattform, welche uns die<br />

UdSSR g<strong>ro</strong>ßzügig anbot, beitreten mussten.<br />

Als ich fragte, ob denn alle diese Plattform unterschrieben hätten,<br />

antwortete mir einer von ihnen, ja, alle hätten es getan, dann aber schränkte er<br />

verlegen ein, nun ja, es gäbe noch welche, die sie nicht unterschrieben hätten,<br />

diese aber litten an gewissen neu<strong>ro</strong>psychischen Krankheiten, die sie daran<br />

hinderten, eine korrekte Wirklichkeitswahrnehmung zu haben. Am Abend erfuhr<br />

ich vor dem Schlafengehen von meinem Bettnachbar, ein<br />

Kavallerieunterleutnant, dass er in einem der Friseure seinen besten Kameraden<br />

und Freund wieder gefunden hatte. Dieser sei während einer Erkundungsaktion<br />

an der transnistrischen F<strong>ro</strong>nt verschwunden, man habe ihn für tot gehalten, post<br />

mortem mit einem Orden ausgezeichnet und ihn im Rang befördert. Alle seine<br />

Kameraden hätten um ihn getrauert, und nun sagte mir mein Nachbar: „Wir sind<br />

Freunde seit unserer Kindheit, aber ich erkenne ihn nicht wieder. Es ist, als<br />

stecke ein anderer in ihm, der nun aus seinem Mund spricht. Soll dieses denn<br />

der Held sein, den wir wie einen Gott beklagten, als er aus unseren Reihen<br />

verschwand, um in die Legende einzutreten?“

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