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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 46<br />

Die Feuer glimmten noch, und wir standen drum herum, verschwiegen<br />

und müde, und wagten es nicht, unsere Blicke vom Flackerspiel der Flammen zu<br />

lösen, die uns halfen, unsere Gedanken zu sammeln und unserem Schicksal ins<br />

Auge zu sehen.<br />

Es war die letzte Nacht in Freiheit.<br />

Es war, als hielten wir Totenwache für einen lieben Kameraden: unser<br />

bisheriges Leben, unsere Jugend. Ja, dafür hielten wir in dieser traurigen Nacht<br />

Totenwache! Übermüdet schlief ich ein, den Kopf auf einen Sattel gebettet.<br />

Am Morgen, als ich mir die Augen rieb, ward ich der Ungewöhnlichkeit des<br />

Panoramas gewahr. Was ich sah, sah vielem ähnlich, nur nicht einem<br />

Schlachtfeld. Wären auf den uns umgebenden Kämmen nicht die Silhouetten der<br />

Panzer zu sehen gewesen, hätte man glauben können, am Grunde dieses<br />

Kessels, in dem ein Ameisenhaufen von Soldaten aller Waffengattungen<br />

zwischen allerlei Wagen lautstark herumwimmelte, fände ein g<strong>ro</strong>ßer Jahrmarkt<br />

statt, ein kaiserlicher Festtag. Plötzlich tauchte vom Kamm links von uns ein<br />

sowjetischer Soldat auf einem gescheckten Pferd auf. Er ritt in die Menge hinein<br />

und hielt auf einer Anhebung, führte einen Trichter an den Mund und rief etwas<br />

auf Russisch aus, wobei er gleichzeitig mit der Hand in die Richtung des<br />

Kammes zeigte, woher er gekommen war. Dort konnten wir zwei Reihen<br />

Sowjetsoldaten sich aufstellen sehen, dazwischen blieb ein enger Durchgang<br />

frei, durch den wir in Kolonne und mit erhobenen Händen zu schreiten hatten.<br />

Pferde und Wagen hatten zurückzubleiben, und wir sollten bloß mitnehmen, was<br />

wir tragen konnten.<br />

Der Reiter wendete sein Pferd, und als er zurück auf dem Kamm bei den<br />

Seinen war, befahl er, wohl um seinem Ultimatum noch mehr Glaubwürdigkeit zu<br />

verleihen, eine Salve von vier Kanonenschüssen. Diese explodierten mitten in<br />

der Menge (wir standen fast Mann neben Mann) und verursachten ein<br />

furchtbares Blutbad. Die Schmerzensschreie von hunderten von Verletzten –<br />

ganz zu schweigen von den Toten – unterstrichen die Dimension dieses so<br />

feigen und grausamen wie unnützen Attentats. Die Wirkung dieser Explosion<br />

war, dass die ersch<strong>ro</strong>ckene Menge, vom Wehklagen der Verletzten begleitet, die<br />

Waffen von sich warf und mit erhobenen Händen zum Durchgang zwischen den<br />

beiden Reihen von Pistolenschützen hin stürzte, die ob dieses gelungenen<br />

Spaßes grinsten, jetzt aber, angesichts des Ansturms dieses Haufens, der drauf<br />

und dran war, sie umzurennen, erschraken, zurückwichen, einige Schüsse in die<br />

Luft abgaben und ausriefen: «PO CITIRE!» (je zu viert!).<br />

Sofort ordnete sich der verworrene Spinn<strong>ro</strong>cken dieser Menge zum<br />

Marschfaden einer Kolonne, die gleichmäßig durch die beiden Reihen des<br />

«kaudinischen Jochs» zum Kamm hin schritt, wo auf sie der unsichtbare und<br />

immense Sack Iwan Turbinkas darauf wartete, sie zu verschlucken. Meine<br />

Männer und ich, die wir von unserer Batterie noch übrig geblieben waren, wir<br />

befanden uns fast am Schluss der sich einreihenden Menge. Wir hatten noch<br />

Zeit, uns vorzubereiten – seelisch wie praktisch. Plötzlich erklang aus der Nähe<br />

des Weidenwäldchens, wo wir uns befanden, ein Pistolenschuss. Ich stürzte,<br />

gefolgt von meinen Männern, zum Ort des Knalls hin. Ausgestreckt im Weiß des<br />

Schnees, mit einer <strong>ro</strong>ten Blume an der Schläfe und einer noch rauchenden<br />

Pistole in der Hand, hatte ein Kavallerieunterleutnant – ein wunderbarer Junge,

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