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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 316<br />

unter den Fenstern unseres Isolierungsraumes abgehalten hatten, und all die<br />

von ihrer Niedertracht in meiner Seele zurückgelassene Schmutzkruste löste sich<br />

unter der Wärme des Beifalls, der unseren Aufbruch begleitete, auf. Dies war das<br />

wahre Gesicht unseres Volkes, nicht das andere. Und da fühlte ich wieder Stolz<br />

in mir, ein Rumäne zu sein. Als sich das Tor hinter uns schloss, klang das Tosen<br />

nach und nach ab, und wir fanden uns unvermittelt im kalten und nassen Wind<br />

des russischen Septembers wieder, vor der neuen Bewachungsgarde, die uns<br />

übernahm, und unter den Blicken der Gruppe von NKVD-lern, die den ganzen<br />

Aufruhr als einen Aff<strong>ro</strong>nt gegen die sowjetischen Behörden empfunden hatten<br />

und nun durch ihre Anwesenheit den Übereifer der Tschassowojs einmal mehr<br />

steigerte: Sie durchwühlten und durchsuchten wild unsere Habseligkeiten, und<br />

fehlen konnten da auch nicht die Anrempelungen und üblichen Flüche, die zum<br />

klassischen Durchsuchungsritual gehörten.<br />

Die wievielte war es denn, Gott? Und wie viele sollten uns denn noch bis<br />

ans Ende der Sklaverei zuteil werden?<br />

Oberst {tefanovici, der sichtlich krank war, eine bis zum Ohr dick<br />

geschwollene Wange hatte und stark fieberte, wurde, abgestützt von zwei<br />

Kameraden, zum weißen Kittel der Offiziellen gebracht. Nachdem er durch ihn<br />

hindurch geschaut hatte wie durch Glas, sprach dieser das Urteil: „Nitschewo,<br />

moschna iti.” (Er hat nichts. Er kann gehen.) Was denn bewies, falls dies noch<br />

nötig war, wieviel seine ärztliche Leistung wert war und wie dekorativ seine<br />

Anwesenheit letztlich war.<br />

Endlich kamen wir aus den Krallen der Durchsuchung los, stellten uns<br />

erneut in einer Kolonne auf, lösten unsere Blicke von diesem Schrecken<br />

einflössenden Lagertor, von dieser Höllenpforte sowie von der Gruppe seiner<br />

unheimlichen Bluthunde, und auf den Befehl Saga mars! bekreuzigten wir uns<br />

und brachen „Mit Gott voran!” auf. Die leere Dorfgasse belebte sich plötzlich,<br />

eine Gruppe von Kindern mit Ranzen auf dem Rücken kam aus der Schule. Sie<br />

riefen uns nicht mehr wie anfangs feindselig „Fritz, Fritz!” zu, sondern machten<br />

uns freundlich Zeichen. „Sitscheas Domoi!” (Nun kehrt ihr heim!), riefen sie uns<br />

in ihrer Unschuld fröhlich zu. Einige von uns riefen sie beim Namen.<br />

Nach einer Viertelstunde Marsch machten wir Halt, damit auch die Älteren<br />

und Hilfloseren nachkamen, wie etwa Oberst {tefanovici, der, obschon zwei<br />

Männer ihn abstützten, nur schwer und unter Schmerzen vorankam. Der Ort, an<br />

dem wir Halt machten, war eine Anhöhe. Über dem kleinen Tal davor erhob sich<br />

der Orankiberg. Unter einem bläulichen und desolaten Himmel erfassten unsere<br />

Blicke, über die entlaubten K<strong>ro</strong>nen der Nussbäume hinweg, zum letzten Mal das<br />

Bild des Kloster-Gefängnisses mit seinen kreuzlosen Türmen und dicken und<br />

kalten Mauern, die Vampiren gleich seit so vielen Jahren uns unsere Kraft weg<br />

gesogen hatten.<br />

„Ade, Oranki!“, sprach ich in Gedanken. „Ade, du Leidensberg! Ade, du<br />

Kloake der Schandtaten und Niederträchtigkeiten! Ade, du Kelter der<br />

Gewissenszermalmung und der Seelenverstümmelung…, aber auch Ort der<br />

neuen Selbstfindung und des Herrn, an dem wir auch ein paar Augenblicke der<br />

«Gnade» erlebt haben. Auf dass ihnen zuliebe unsere freiwillig erbrachten Opfer<br />

und unsere heimlich gesp<strong>ro</strong>chenen Gebete deinen entweihten Mauern die alte<br />

Heiligkeit von einst wiedergeben!“

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