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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 318<br />

85. EINE NEUE ETAPPE AUF DEM SKLAVENWEG: USTSCHOARA ODER<br />

„DAS TEUFELSLOCH“<br />

Wir gingen durch den Nebel und den Nieselregen jenes Herbsttages, und<br />

nach dem ein paar Stunden dauernden erschöpfenden Marsch – weniger seiner<br />

Länge wegen, als wegen der nervlichen Anspannung infolge der unaufhörliche<br />

Hetze der zu einem Wolfsrudel gewordenen Tschassowojs, die uns mit Schlägen<br />

und Flüchen vorantrieben – erreichten wir endlich den Bahnhof Schonika. Dort<br />

allerdings erwartete uns eine Überraschung. Der auf dem ersten Gleis für uns<br />

Verbannte vorgesehene Waggon ließ uns nicht wenig staunen: Wir standen bei<br />

weitem nicht vor dem klassischen Viehwaggon der Güterzüge des weißen Todes<br />

aus den ersten Wochen unserer Gefangenschaft, sondern, siehe da, vor einem<br />

eleganten Personenzugwaggon, der an den Fenstern sogar kleine Vorhänge<br />

hatte. Allein, als wir erst einmal an beiden Enden eingestiegen waren, wobei sich<br />

uns unsere Begleiter in familiärer Weise durch Gewehrkolbenschläge von uns<br />

verabschiedeten, stellten wir alsbald fest, dass dieser Waggon nicht für normale<br />

Reisende bestimmt war, sondern für welche, die besondere Aufmerksamkeit<br />

verdienten.<br />

So etwa bestanden die Trennwände zwischen Gang und Abteilen sowie<br />

auch jene zwischen letzteren aus dickem Drahtnetz, das an soliden Stahlstangen<br />

befestigt war. Das Gleiche galt auch für die von außen abschließbaren Türen.<br />

Die Abteile – regelrechte Gefängniszellen mit jeweils acht Plätzen – hatten mit<br />

Metallplatten versehene Fenster, die jede Kommunikation mit der Außenwelt<br />

blockierten. Vom Gang her konnte durch die Gitterstäbe jede Bewegung<br />

überwacht werden, wie im berühmten Sing-Sing mit den schrecklichen Mördern<br />

aus den amerikanischen Filmen, die unsere Kindheit belebt hatten. Desgleichen<br />

gab es an den trennenden Sitzarmen Vorrichtungen, an welche die<br />

aufsässigeren Passagiere mit Handschellen angekettet werden konnten. Das<br />

Gleiche auch am Fuße der Sitzbank, um gegebenenfalls Stahlringe um die<br />

Knöchel zu legen. Alles war wohlkalkuliert, funktionell ausgeklügelt und für eine<br />

lang andauernde, aber p<strong>ro</strong>blemlose Reise eines Konvois von gefürchteten<br />

Verbrechern gedacht.<br />

Dieser zuchthäuslerische Perfektionismus, der in jedem anderen Land der<br />

Welt unvorstellbar war, füllte uns alle mit Staunen, und meinem Sitznachbar, der<br />

zufällig gerade Victor Clonaru war, entlockte er einen Ausruf echter<br />

Bewunderung: „Donnerwetter! Das ist ja ein wahres Zuchthaus auf Rädern!“<br />

Seine Überlegung fiel wie ein T<strong>ro</strong>pfen Galgenhumor in unsere Gemüter und löste<br />

ein homerisches Gelächter aus, das mit seiner befreienden Wirkung auch die<br />

benachbarten Abteile ansteckte – dies zur g<strong>ro</strong>ßen Verblüffung des Tschassowojs<br />

auf dem Gang. Der konnte sich diese Fröhlichkeitsexplosion bei Gefangenen, die<br />

ja nicht zu einer Hochzeit, sondern zu einem Ort unterwegs waren, den nur er<br />

kannte, nicht erklären.<br />

Letztendlich ging irgendwann ein leichter Ruck durch den Waggon, der<br />

Bahnhof Schonika und sein Lärm verschwanden langsam aus unseren Ohren.

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