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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 244<br />

61. IM KRANKENHAUS<br />

Am Tag darauf brach tatsächlich die Mehrheit der Rumänen, darunter<br />

auch die Künstlertruppe, Richtung M=n\st=rka auf – ausgenommen ich, der ich<br />

aufgrund einer akuten Dysentherie ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Wie<br />

aber kam es dazu?<br />

Von Zeit zu Zeit füllten das Lager pestilenzialische Miasmen, es stank<br />

unerträglich nach Kadavern, dass einem zum Kotzen war. Ich wusste, dass eine<br />

Delikatesse ins Lager gelangt war, und zwar Kamelfleisch, aber nicht irgendein<br />

Kamelfleisch, sondern nur „Spezialitäten“ davon, Lippen, Vaginas, Gebärmütter,<br />

Schwänze, Hufe, Därme; und alles hatte man bis zur Verfaulung „abhängen“<br />

gelassen. Als unsere Köche diese Delikatessen bekamen, rieben sie sie<br />

verzweifelt mit Essig und mit verschiedenen Kräutern ein, bis der Gestank raus<br />

war. Dann bereiteten sie sie mit anderen a<strong>ro</strong>matischen Kräutern zu, die man in<br />

der Gegend fand und die nur einigen von ihnen bekannt waren, um schließlich<br />

den Gefangenen als raffinierte Gerichte aufgetischt zu werden, und keiner starb<br />

davon. Damals stellte ich fest, dass in Grenzsituationen verdorbene<br />

Nahrungsmittel, die ansonsten einen gesunden, normal ernährten Mensch<br />

umbringen würden, diesen am Leben und unversehrt lassen, ja, dass sie<br />

gewissermaßen sogar nährreich sind. Gewöhnlich hütete ich mich vor diesen<br />

Delikatessen und bot sie anderen an, die sie schätzten. Diesmal aber war ich<br />

dank eines erregten Gesprächs zerstreut genug und merkte nicht, was ich aß.<br />

Mir war nach Sterben zumute, als ich feststellte, was ich verschlungen hatte. Ich<br />

kotzte, hatte Durchfall und hohes Fieber und wurde letztlich ins Krankenhaus<br />

gebracht.<br />

Dort aber, zugegeben, lebte ich wie der Heller im Beutel des Armen.<br />

Doktor Pawlowa und die Schwestern erkannten mich wieder (war ich doch ein<br />

„Star“ gewesen) und behandelten mich mit jener besonderen Aufmerksamkeit,<br />

welche den Histrionen auf allen Breiten- und Längengraden der Welt zugute<br />

kommt. Nach ein paar Tagen hörte die Diarrhöe auf, die Körpertemperatur<br />

normalisierte sich, aber ich hatte schrecklich abgenommen und fühlte mich so<br />

schwach, dass ich kaum noch auf den Beinen stehen konnte. Die armen<br />

Pflegerinnen hatten alles ihnen Mögliche getan, um mich wieder fit zu kriegen,<br />

und letztlich gelang ihnen dies auch mit Hilfe von Spritzen und konsistenterem<br />

Essen.<br />

Wieder auf dem Damm, verließ ich in den Nachmittagsstunden das Bett<br />

und ging auf dem Korridor spazieren. Dieser endete mit einem vergitterten<br />

Fenster, das meistens offen stand (es war Anfang August) und aus dem sich den<br />

Augen etwas von der Landschaft bot, die sich jenseits des Stacheldrahts<br />

erstreckte. Man sah einen Talgrund, in dem ein Landweg sich dem Horizont zu<br />

schlängelte, vorbei an ein paar gelben Weidenwäldchen. Plötzlich tauchten aus<br />

einem Gebüsch zwei dicke und stämmige „Hasajkas“ auf, die jeweils den Arm<br />

um der anderen Hals geschlungen besoffen Richtung Talgrund torkelten. Mitten<br />

auf der Landstraße blieben sie stehen, um Atem zu holen; sie spreizten die

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