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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 333<br />

Ein Schauer durchfuhr mich, als ich von Ispas’ Entschluss hörte. Der<br />

Mann kannte keinen Spaß. Sein Engagement war total und ging bis zum Ende,<br />

auch wenn an diesem Ende der Tod auf ihn gewartet hätte.<br />

„Gut! Ich bin einverstanden. Aber wenn wir es tun, dann lass es uns<br />

richtig tun, nicht wie in Oranki. Teilnehmen sollen weder die mit prekärer<br />

Gesundheit, noch jene, die nicht dazu entschlossen sind, bis zum Ende<br />

mitzumachen, allen Risiken zum T<strong>ro</strong>tz. Dies setzt aber voraus, dass jeder von<br />

uns vor den anderen ein Glaubensbekenntnis abgibt. Ein jeder soll öffentlich,<br />

ehrlich, eindeutig und ohne Rückhalt erklären, wie viel Mumm er denn hat, wie<br />

weit er in dieser Aktion zu gehen imstande ist. P<strong>ro</strong>fitieren wir davon, dass wir<br />

zum ersten Mal in unserer Gefangenschaft keine Spitzel dabei haben und offen<br />

reden können.“ (Tatsächlich, mit der größer werdenden Kälte hatte von Schubert<br />

die Einwilligung bekommen, nicht mehr bei uns zu schlafen. Er kam bloß<br />

morgens für ein paar Minuten vorbei, um uns höflich einzuladen, mit ihm zur<br />

Arbeit zu gehen, und abends, nach der Zählung, ums uns gute Nacht zu<br />

wünschen.) „Ich schlage vor, dass wir uns, wenn die anderen einverstanden<br />

sind, nach dem Zapfenstreich um den Ofen versammeln, und jeder der<br />

potentiellen Teilnehmer soll seine Meinung zu diesem Streik sagen und, wenn er<br />

sich dafür entscheidet, daran teilzunehmen, vor uns allen erklären, auf Ehre und<br />

Gewissen, dass er nicht aufgeben wird, bis wir nicht alles erreichen, was wir<br />

gefordert haben. Auf diese Weise wird es keine übereiligen und<br />

unverantwortlichen Teilnehmer geben, die im Laufe der Aktion schlapp machen<br />

und so für uns dramatische Situationen kreieren. Denk nur an Oranki!“<br />

Er gab mir Recht und suchte weitere Pritscheninsassen auf, um sie aus<br />

ihrer Apathie zu reißen, sie in die Wirklichkeit zurückzuholen und den<br />

Hungerstreik zur Diskussion zu stellen. Auf dem anderen Gang zwischen den<br />

Betten zündeten Victor Clonaru und Gabi Constantinescu ihrerseits von Pritsche<br />

zu Pritsche den Funken des Streikes.<br />

Es kam auch der Abend, das Abendessen mit seiner hochgradigen<br />

Wassersuppe, vorbei ging auch die Zählung, worauf die vier Riegel draußen<br />

wieder hörbar vorgeschoben wurden und der Schlüssel im Schloss knirschte,<br />

und, nachdem wir den Zapfenstreich blasen hörten, versammelten wir uns mit<br />

brennenden Fidibussen in der Hand wie in eine P<strong>ro</strong>zessionsritual um den<br />

glühend<strong>ro</strong>ten Ofen, und jene, die nicht mehr Platz fanden, stiegen auf die<br />

umliegenden Pritschen. Nae, der auf einem Hocker am Ofentürchen saß,<br />

präsentierte mit der ihm eigenen Ruhe und strengen Logik die Lage.<br />

„Wir haben den 20. Dezember. Es erfüllen sich fix zwei Monate, seit man<br />

uns in diese schreckliche Höhle gesteckt hat. Schaut euch einer den anderen an,<br />

damit ihr seht, in was für einen Zustand uns die sowjetischen Humanisten in<br />

dieser Zeitspanne gebracht haben!“ Allerdings, im Lichtspiel der Fackeln war das<br />

Elendsbild, das wir füreinander abgaben, erschütternd: glasige Augen, vom<br />

Hunger ausgezehrte Gesichter und struppige Bärte, gerade so, als seien wir eine<br />

Gemeinschaft der ersten Christen gewesen, die sich um Mitternacht in einer<br />

Katakombe versammelt hatte, um bei Fackellicht eine letzte Liturgie zu<br />

zelebrieren, bevor sie im Zirkus vor die Raubtiere geworfen wurde.<br />

„Es ist klar und es gibt keinerlei Zweifel mehr“, sagte er weiter, „dass die<br />

Fortsetzung eines Lebens unter diesen Bedingungen den sicheren Tod bedeutet.

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