15.01.2013 Aufrufe

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 220<br />

Hättest du meinen Rat angenommen, hätte das Stück den Wert einer<br />

«Botschaft» bekommen. Tja, wenn’s nicht möglich ist, ist’s halt nicht möglich.”<br />

Und wir trennten uns, doch nach ein paar Schritten kehrte er um, um mir vor<br />

denen, die auf der Allee herumspazierten, folgendes zu sagen: „Also, wenn dir<br />

die Tinte aus dem grünen Tintenfass ausgeht, steck die Feder in das <strong>ro</strong>te!<br />

Wichtig ist, dass du ja nicht mit dem Schreiben aufhörst.” Die Metapher mit dem<br />

grünen Tintenfass war nicht bloß eine giftige, sondern auch eine lügnerische. Er<br />

wusste nur zu gut, dass ich kein Legionär gewesen war; aber so benahm er sich<br />

damals in den Kreisen der Machthabenden und ihrer Helfershelfer: Ein jeder, der<br />

auf ihre Einmischungen reagierte, konnte als Reaktionär, Faschist oder Legionär<br />

abgestempelt werden.<br />

„Danke für den Rat“, rief ich ihm nach. „Und ich gebe Ihnen auch einen:<br />

Passen Sie auf, mit was für Tinte Sie schreiben, denn so manche ist schwach<br />

und verblasst alsbald; und es wär’ ja schade für all die Mühe, wenn von dem,<br />

was Sie schreiben, nichts übrig bleibt!“ Mein Rat klang fast schon nach einem<br />

Fluch. Lambrino ließ sein Kinn auf die Brust sinken, verschränkte – wie es seine<br />

Gewohnheit war – die Hände auf dem Rücken und sah sich nicht mehr um.<br />

Am Vorabend der Generalp<strong>ro</strong>be, der die gesamte Verwaltungsleitung des<br />

Lagers beiwohnen sollte, präsentierte ich mich beim Kommissar. Codlers Stelle,<br />

der ja mit der T.-V.-Division weg war, hatte Terle]chi eingenommen. Er kam nicht<br />

aus Bessarabien, sondern von jenseits des Dnjestrs 109 , sprach aber ein<br />

akzeptables Rumänisch. Vom Verstand her war er arg einfältig; mit Codler<br />

konnte er nicht verglichen werden. Sei Wortschatz beschränkte sich auf ein paar<br />

Schablonen aus dem marxistisch-leninistischen Repertoire, die er nach Belieben<br />

einsetzten konnte, denn Sinn drang eh keiner durch sie durch. Der Kommissar<br />

bat mich, Platz zu nehmen, dann, nachdem er mit dem Lesen des Exposés zum<br />

Stück, dass ich auf einen Fetzen Sackpapier geschrieben hatte, fertig war, stellte<br />

er mir die Fangfrage: „Welches ist denn die politische Botschaft des Stückes für<br />

die Arbeiterklasse?“ Und: „Womit trägt sie denn zur Emanzipierung derselben<br />

von der Ausbeutung des Bürgertums bei?“<br />

Ich war sprachlos. Das Wort „Botschaft“ war neu im Wortschatz Terle]chis,<br />

den ich ja auswendig kannte, wurde aber oft von Lambrino verwendet, der ja bei<br />

unserer letzten Begegnung mein Werk mit einer „Botschaft“ hatte belasten<br />

wollen. Ich wusste sofort, wer mit marxistischer Akribie für mein Gegenüber die<br />

unbequemen Fragen formuliert hatte. Was sollte ich denn antworten? Von<br />

meiner Antwort hing das Schicksal des Schauspiels ab. Mit ihm ein Turnier unter<br />

der Devise „art pour l’art oder engagierte Kunst?“ zu starten, wäre eine Kinderei<br />

gewesen. Im Grunde genommen war ich ja nicht hergekommen, um mit Terle]chi<br />

zu streiten, sondern um ihn auszudribbeln und ihm die Erlaubnis zu entlocken.<br />

Und so trickste ich ihn mit dem unschuldigsten Tonfall aus: „Botschaft, sagen<br />

Sie?... Aber mein Werk ist nichts anderes als eine einzige Botschaft. Was denn<br />

sonst ist das Bemühen meiner Helden, die schöpferischen Kräfte der unteren<br />

Schichten aus ihrer Trägheit zu wecken und sie aufzurufen zur Schaffung einer<br />

g<strong>ro</strong>ßartigen Tat – einer «Oper! - als eine Botschaft?“<br />

„Aber hieraus geht dies nicht hervor“ – und zeigte mir den Text.<br />

109 Transnistrien.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!