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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 51<br />

9. EINE HALLUZINATORISCHE NACHT<br />

Endlich brachen wir auf, allerdings nicht bevor uns der Leiter des Konvois<br />

mit schneidender Stimme darauf aufmerksam machte, dass jeder, der auch nur<br />

einen Schritt aus der Kolonne weichen sollte, auf der Stelle erschossen<br />

werde(strileait)! Wir gingen Richtung Osten, aber nicht jenem des Herrn,<br />

sondern dem Osten entgegen, zu dem alle Sklavenwege führen. Am f<strong>ro</strong>stklaren<br />

Himmel erschien die Sternenfülle der Milchstraße, des Sklavenwegs. Und der<br />

Vollmond hüllte die Steppe in ein blendendes Licht. Da hörte man hoch oben<br />

über uns das unverwechselbare Brummen eines deutschen Erkundungsfliegers,<br />

welcher wohl dem deutschen Kommando zu berichten hatte, dass die<br />

rumänischen Einheiten in Gefangenschaft gefallen waren.<br />

Sämtliche Gefangene waren voller Empörung gegenüber unseren eigenen<br />

Kommandos, welche, wie gelähmt, chaotisch agiert hatten, waren sie doch eher<br />

mit der Rettung der eigenen Haut beschäftigt als mit der Organisierung einer<br />

Aktion zur Rettung aller. (Birc\, unser sympathischer und so anständiger<br />

Gruppenkommandant, und sein gesamter Generalstab waren ungeniert<br />

abgehauen und hatten uns in Gottes Obhut zurückgelassen.) Wo war er<br />

geblieben, der Ehrenkode des Kapitäns, der als letzter das gestrandete Schiff<br />

verlässt? Darüber diskutierte voller Wut, Verbitterung und Revolte diese so<br />

grausam get<strong>ro</strong>ffene Menge, die sich von ihren Kommandanten verraten und dem<br />

Schicksal überlassen fühlte. Aber was sagen die Menschen nicht alles in der Not.<br />

Sicher, sie hatten Recht, aber nur zum Teil, denn es hatte auch tüchtige<br />

Kommandanten gegeben, wie zum Beispiel Oberst Iliescu, unser<br />

Regimentskommandant, der nicht geflüchtet, sondern auf seinem Posten<br />

geblieben war, um das Schicksal mit jenen zu teilen, die er angeführt hatte.<br />

Diese Tatsache war zu jenem Zeitpunkt jedoch nicht bekannt, und diese<br />

Menschenmenge, angeschlagen von F<strong>ro</strong>st, Hunger und Verzweiflung, fand einen<br />

T<strong>ro</strong>st darin, sich als Opfer zu sehen und die Verantwortung für das Desaster<br />

jedem aufzubürden, der ihr in den Sinn kam. Die wahre Verantwortung aber ging<br />

viel höher hinaus, sie verließ die unmittelbare Gegenwart und sammelte sich in<br />

gar nicht so weit entfernter Vergangenheit bei denen, die aus<br />

Unverantwortlichkeit oder aus Korruption heraus uns unter dem Standard des<br />

Zweiten Weltkriegs ausgerüstet hatten.<br />

Die Kolonne verlor bald ihre Formation und wuchs zu einem St<strong>ro</strong>m an,<br />

dessen Menschen an einem abwegigen Marathon teilnahmen, innerhalb dessen<br />

sie sich gegenseitig wegdrängten, um nach vorne zu gelangen, um als erste die<br />

Essensration entgegenzunehmen – dann, wenn diese denn ausgeteilt werden<br />

sollten – und als erste eine Schlafstelle zu ergattern – dann, wenn man denn das<br />

Lager erreichen würde.<br />

Die Verletzten, die Kranken und die Erschöpften wurden nach hinten<br />

gedrängt, woher dann ab und zu ein Schuss zu hören war. Er galt jenen, die vor<br />

die Läufe der Bewachungskette gelangten, welche die Kolonne abschloss,<br />

angeführt von dem Riesen im wattierten Mantel mit dem Zwerghund: hinter

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