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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 227<br />

ausgezeichnet! Wie kann ich dir denn für all das, was du uns geschenkt hast,<br />

danken? Habe mich gar nicht vorgestellt. Hauptmann Fonea.”<br />

„Fonea, sagen Sie? Sind Sie verwandt mit George Fonea, dem<br />

Rilkeübersetzer? (Rilke war immer schon mein Lieblingsdichter, wie für viele aus<br />

unserer Generation übrigens.)<br />

„Genau der bin ich”, antwortete lächelnd der Dichterhauptmann.<br />

Jetzt war ich es, der ihm die Hand schüttelte, ihn umarmte und ihm dafür dankte,<br />

mir einen ins schönste rumänische Sprachgewand gehüllten Rilke geschenkt zu<br />

haben. Von jenem Moment an sind wir bis ans Ende seines kurzen Lebens<br />

Freunde geblieben.<br />

In jener Nacht wollte sich der Schlaf nicht mehr an meine Lider heften.<br />

Nach der morgendlichen „Zählung” erhielt ich während des Spaziergangs<br />

auf den Alleen des Lagers zahlreiche Glückwünsche, und zwar vor allem von<br />

Leuten, von denen ich sie gar nicht erwartet hätte. Ich meine hier die<br />

„Freiwilligen”, denen sich – vorläufig noch – viele missleitete Unschuldige aus<br />

dem „23. August”-Kontingent angeschlossen hatten. Darunter befand sich auch<br />

Oberst E., dessen Spitzname P\s\ric\ (Vöglein) war, der Stieglitze wegen, die<br />

er, wie die bösen Zungen meinten, im Kopf hatte. Er war ein intelligenter Typ,<br />

steckte aber voller unvorhersehbarer Possen. Er hielt mich etwa zehn Minuten<br />

zurück, um mir zu sagen, wie sehr ihm mein Stück gefallen hatte, und um mich<br />

zu bitten, ihm einige Couplets vorzupfeifen, um sie auswendig zu lernen (er oder<br />

seine Stieglitze?). Kaum war ich dem Lobesgekrächze P\s\ric\s entkommen,<br />

stieß ich auf Lambrino, der überrascht war und nicht wusste, wie er mir besser<br />

ausweichen könnte, weswegen er so tat, als sähe er mich nicht. Konnte ich ihm<br />

denn nicht auch ausweichen und so tun, als sähe ich ihn nicht? Nein, denn mein<br />

Stolz verlangte Genugtuung und forderte von mir, den Gegner mit der ganzen<br />

Wucht meines Triumphes platt zu machen. So also, anstatt meines Wegs zu<br />

gehen, hielt ich ihn an und lud ihn sehr höflich ein (genau genommen forderte ich<br />

ihn heraus), am Abend in unsere Vorstellung zu kommen. Er dankte mir und<br />

versprach zu kommen. Und tatsächlich, er kam. Setzte sich bequem in die erste<br />

Reihe, mit übergeschlagenen Beinen, und verfolgte das gesamte Schauspiel mit<br />

einem überlegenen Lächeln um den Mund, ohne auch nur ein einziges Mal zu<br />

applaudieren, auch dann nicht, als der Beifallssturm den Saal auf die Beine riss.<br />

Selbstsicher in seiner marxistisch-leninistischen Rüstung verfolgte er mit<br />

Verachtung die lautstarken Reaktionen eines Publikums, dem das elementarste<br />

ideologische Urteilsvermögen fehlte.<br />

Ein paar Tage später sollte er mich in sein Bü<strong>ro</strong> des „Chefideologen“ der<br />

antifaschistischen Bewegung einladen, um mir eine so genannte Theaterch<strong>ro</strong>nik<br />

vorzulesen, ein vier- bis fünfseitiges Geschwafel, in dem er, das Stück Akt um<br />

Akt verfolgend, sich anstrengte, das zu beweisen, was klar wie das Licht des<br />

Tages war, nämlich dass die „Oper“ kein „ideologisches Fundament“, keinerlei<br />

„Botschaft“ besaß.<br />

„Dafür aber hat sie verdammt viel Erfolg beim Publikum“, erwiderte ich.<br />

„Sie hätten nur Gristschuk und die anderen Offiziere vom NKVD sehen sollen,<br />

wie sie bei der Premiere applaudiert haben. Sollten auch diese keinerlei<br />

ideologisches Urteilsvermögen haben? Soll ich denn verstehen, dass Sie hier im<br />

Lager die alleinige Zitadelle der marxistischen Orthodoxie sind? Wie dem auch

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