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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 15<br />

(einige von ihnen waren zum Tode verurteilt), vor Gericht verbissen all das von<br />

sich wiesen, dessen sie angeklagt wurden, gegen mich ausgesagt zu haben, sah<br />

sich das Gericht – zu seiner Verblüffung – ohne Beweise.<br />

Da man mich nicht mehr verurteilen konnte, aber auch nicht das Herz<br />

hatte, mich freizusprechen, wurde ich, nach einem Wartejahr im Bukarester<br />

Uranus-Gefängnis, ins Donaudelta gebracht, nach Periprava 13 , wo man mir<br />

meine «administrative Deponierung» seitens des Innenministeriums mitteilte, die<br />

sich über 72 Monate erstreckte – also, weniger euphemistisch ausgedrückt, eine<br />

Verurteilung zu 6 Jahren, ohne Gerichtsurteil, wovon ich effektiv 5 ableistete, bis<br />

zum Erlass des Dekrets der Generalamnestie 14 im Jahre 1964.<br />

Auf diese Weise konnte ich «de visu», dazu aus dem, was die<br />

Leidtragenden mir erzählt haben, auch die Gräuel unseres „mioritischen“ 15<br />

Gulags kennenlernen, und meine KZ-Route, die 1942 in den zugeschneiten<br />

Steppen des Dons begonnen hatte und sich in den Lagern von Tambow, Oranki,<br />

Skit, M=n\st=rca, Uscioara = Teufelsloch, Marsansk, Michailowo, Odessa,<br />

Sighet, Bragadiru – ausgenommen ein Interludium von 8 Jahren so genannter<br />

Freiheit – fortsetzte, beendet ihren Kreislauf in der Welt der Wasser von<br />

Periprava mit dem Begnadigungsdekret von 1964.<br />

Dies ungefähr war im G<strong>ro</strong>ßen und Ganzen auch das Schicksal fast aller<br />

rumänischen Gefangenen aus dem Lagerwiderstand, denen der NKVD bei ihrer<br />

Repatriierung das unsichtbare Brandmal eines «Konterrevolutionärs» und<br />

«Feindes der Sowjetunion» auf den Rücken verpasst hatte.<br />

Beim Übergang aus den sowjetischen Lagern in den Gulag der<br />

rumänischen Strafanstalten brachten unsere Gefangenen den revolutionären<br />

Hauch des Widerstands mit, ihre Erfahrung im Umgang mit dem<br />

Repressionsapparat, einen gewissen Diskurs das Recht auf Würde betreffend<br />

und einen gewissen Moralkodex. All dieses, bezogen auf den grauenhaften Stil<br />

der Existenz in den rumänischen Konzentrationslagern (viel bestialischer als<br />

jener beim G<strong>ro</strong>ßen Bruder – die Lehrlinge hatten ihren Meister übert<strong>ro</strong>ffen),<br />

führten eingangs dazu, dass sie als Romantiker erschienen und ihre Erfahrung<br />

als unp<strong>ro</strong>duktiv dastand. Bis zuletzt aber sollte sich die Lektion der Solidarität,<br />

welche sie gleich dem Evangelium gelehrt hatten, als realistisch und<br />

begrüßenswert herausstellen und die harten Schocks dieses<br />

Strafanstaltsregimes doch ein bisschen abdämpfen. Egal, in welchen<br />

Gefängnissen sie landeten, erwiesen sie sich als belebende, entspannende, Mut<br />

und Optimismus verleihende Personen. Was mich betrifft, wohin ich auch in<br />

13<br />

Letztes rumänisches Fischerdorf am Chilia-Arm der Donau, nahe der ukrainischen Grenze.<br />

14<br />

Für politische Häftlinge.<br />

15<br />

Lucian Blaga prägte mit dem Titel „Spa"iul mioritic“ (Der mioritische Raum, 1936), dem zweiten Band<br />

seiner Trilogie der Kultur („Trilogia culturii“), quasi ein geflügeltes Wort. In seiner Konzeptualisierung<br />

geht der Dichterphilosoph von der Volksballade „Miori"a“ (Das Schäflein) aus, in der er eine Matrix der<br />

rumänischen Volkseele zu erkennen glaubt: „Mioritza wird in Bessarabien, im Banat, in Siebenbürgen, in<br />

der Moldau und in Muntenien von alten Hirten gesungen oder vorgetragen. (…) Im Gedicht wird der Tod<br />

als Braut der Welt betrachtet, das Sterben als eine Hochzeit, Tod und Leben sind vermählt. Dieser Rahmen<br />

umschließt eine kosmische Dichtung, in deren Mitte der Tod steht. Der Tod wird traurig-trunken besungen,<br />

er wird angenommen mit Freimütigkeit und mit schicksalhafter Hingabe.“ (Lucian Blaga: Zum Wesen der<br />

rumänischen Volksseele, dt. von Julius Draser, Bucure#ti 1982, S. 37f.)

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