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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 470<br />

„brennenden Scheiterhaufen“ der rumänischen Seele zu sehen, dem man sich<br />

nicht nähern konnte, ohne seine Schuhe auszuziehen.<br />

Meinen Vortrag bereitete ich während meiner langen, fast vereinsamten<br />

Abendspaziergänge auf den Stegen hin zum Denkmal auf der Anhöhe, woher<br />

sich uns das Meer in seiner größten Weite zeigte. Seine Unendlichkeit sowie<br />

seine kontinuierlich Unstetigkeit halfen mir mehr als alle Schulbesuche, das<br />

Wesen der Seele Eminescus zu erfassen, die genauso unendlich und unstet ist<br />

wie das Meer.<br />

Als ich dann meinen Vortrag hielt, verlor ich mich nicht in biografischen<br />

Daten, auch nicht in literaturkritischen Details. Davon präsentierte ich nur das,<br />

was nötig war. Ich betonte jedoch den Beitrag Eminescus zur kontinuierlichen<br />

Selbstschöpfung der rumänischen Seele (im Grunde genommen ist ein jeder<br />

g<strong>ro</strong>ßer Dichter in dem Maße g<strong>ro</strong>ß, in dem er es schafft, der Seele seines Volkes<br />

eine neue Dimension zu verleihen oder sie mindestens mit einem neuen<br />

Erschauern zu bereichern).<br />

Eminescu bietet uns eine rumänische Seele von erschütternder Tiefe an,<br />

die fest verankert ist im Boden, in der Vergangenheit und in den beständigen<br />

Werten seines Volkes, ihn kennzeichnet eine würdevolle Anschauung des<br />

Lebens und eine ernste und verantwortungsvolle Behandlung all seiner Fragen.<br />

Dies ist die von Eminescu, unserm guten, unserem leitenden Genie angebotene<br />

Seele. Ohne ihn sind wir verloren, ohne ihn stürzen wir in die Welt Caragiales,<br />

der Marionettenmenschen, die alles ins Lächerliche ziehen („auf die Schippe<br />

nehmen“), und alles, was sie anfassen, wird zur Karikatur.<br />

Dann sprach ich noch über den Zauber der Verse Eminescus, die alle<br />

Dinge und alle Wesen, die sie berühren, mit Poesie aufladen. Das Meer, der<br />

Mond, der Wald, der See, die Linde, die Quellen wurden anders, als sie es<br />

waren, bevor sich die goldene Wolke seiner Poesie auf sie herabließ. Von nun<br />

an werden wir sie, sooft wir uns vor diesen Dingen wieder finden, mit dem<br />

unerhörten und unaussprechlichen Zauber der Verse Eminescus aufgeladen<br />

sehen.<br />

Zum Schluss legte ich die tragischen Umstände dar, in denen diese Feier<br />

im Dämmerlicht des Kriegsendes stattfand: ein besiegtes Land mit zerstückeltem<br />

Leib, mit der Werteskala auf den Kopf gestellt, zerschmettert und zerdrückt unter<br />

dem Stiefel des fremden Besatzers, vor allem aber an den <strong>ro</strong>ten Horizonten<br />

unentwegt belauert von den mörderischen Blicken derer, die es gerne sähen,<br />

wenn wir von der Landkarte verschwinden. Das Ende lautete – zugegeben:<br />

etwas pathetisch – in etwa wie folgt:<br />

„Stürmt, ihr Horden der Apokalypse! Stürmt, ihr Heere Gogs und Magogs!<br />

Tötet, versklavt, brandschatzt und raubt, wie ihr es gewöhnt seid! Plündert alles,<br />

was euch in den Weg kommt! Wisst aber, dass ihr unseren wahren Schatz, was<br />

immer ihr auch tut, nicht finden werdet. Er ist gut versteckt. Dort, wohin ihr nie<br />

hinkommen werdet, in den tiefsten Geheimverliesen der rumänischen Seele.<br />

Sein Name ist Eminescu.“

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