15.01.2013 Aufrufe

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 416<br />

befragte, verwandelte sich sein permanentes Lächeln in eine verächtliche<br />

Grimasse.<br />

„Was denn für eine Sonnenhymne?“, ereiferte er sich. „Es ist ein<br />

kommunistisches Lied, das in Moskau aus japanischen melodischen Themen<br />

konfektioniert worden ist und das uns die Sowjets mit Hilfe unserer Aktivisten<br />

aufgezwungen haben.“<br />

„Und welches ist der Inhalt des Textes?“<br />

„P<strong>ro</strong>pagandistischer Schwachsinn und Plattitüden, gefolgt von<br />

Aufhetzungen zur Revolte und zum Mord. Wir sollen Mikadou entth<strong>ro</strong>nen, die<br />

Kapitalisten, die Landbesitzer und die Bürgerlichen ermorden. Dann mit<br />

flatternder <strong>ro</strong>ter Fahne den Sozialismus erbauen.“<br />

„Und ihr singt alle diese Blasphemie? Wie könnt ihr so etwas nur tun? Wo<br />

bleibt der Treueschwur auf den Kaiser, wenn ihr euch mit einem Lied verpflichtet,<br />

ihn zu entth<strong>ro</strong>nen?“ Meine Frage brachte meinen Gesprächspartner für einen<br />

Moment in Verlegenheit. Dann begann er mir geduldig zu erklären, dass sie,<br />

gerade indem sie den Kaiser entth<strong>ro</strong>nten (nur im Lied, natürlich), ihm treu und<br />

untertan blieben. Als er in meinem Gesicht die Verblüffung über diese Logik<br />

bemerkte, kam er mit Erläuterungen, in erster Linie versicherte er mir, dass die<br />

g<strong>ro</strong>ße Mehrheit der japanischen Offiziere den Kommunismus und die<br />

Kommunisten verabscheute.<br />

„Wir sind aber Militärs und dürfen weder eigene Meinungen an den Tag<br />

legen, noch individuelle Haltungen gegenüber den Sowjets und ihren Druck<br />

einnehmen. Deswegen hören wir auf das Kommando, das von oben kommt, vom<br />

Ranghöchsten, der einzige, der vom Kaiser mit der Macht ausgestattet wurde, in<br />

einer so außergewöhnlichen Situation für uns alle Entscheidungen zu treffen und<br />

er allein ist es auch, der sich vor dem Kaiser für alle unsere Taten, die wir auf<br />

seinen Befehl hin vollbringen, wird verantworten müssen. Und wenn er befohlen<br />

hat «Tut alles, was die Sowjets von euch verlangen, damit wir heimkehren. Singt<br />

sogar, dass ihr den Kaiser entth<strong>ro</strong>nt, wenn sie dies fordern!, habe ich dann das<br />

Recht, mich zu weigern zu singen und so den Befehl und die Disziplin zu<br />

missachten?“<br />

„Willst du sagen, dass ihr alle singt, aber keiner daran glaubt, was er<br />

singt? Dass ihr also alle Theater spielt?“<br />

„Genau. Siehst du, du hast kapiert! Es ist ja auch nicht so schwer. Du<br />

musst bloß den Mut haben zu akzeptieren, dass die eu<strong>ro</strong>päische Logik nicht die<br />

einzig mögliche ist.“<br />

„Wenn aber der Kaiser dieses Verhalten nicht gutheißen wird?“<br />

„Bestimmt wird er das nicht. Wie könnte ein Kaiser so ein unwürdiges<br />

Verhalten akzeptieren? Unser Vorgesetzter wusste von Anfang an, dass sein<br />

Befehl desavouiert werden wird. Allein, er hielt es für nützlicher für das Vaterland<br />

und für den Kaiser, dass wir so bald wie möglich wieder heimkehren, um an<br />

allem teilnehmen zu können, was dort vor sich gehen mag, als hier, in den<br />

sowjetischen Lagern, dahinzusiechen. Was die Rechnung für die ehrlose Weise<br />

unserer Repatriierung betrifft – keine Angst, die wird er für uns alle mit seinem<br />

noblen Samuraiblut begleichen. Ich glaube, du weißt Bescheid über das Harakiri-<br />

Ritual! Von all diesem aber sag, bitte, kein Wort zu deinen Kameraden,<br />

wenigstens nicht vor unserem Weggang.“

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!