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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 443<br />

zusammenrechen würde. Die Unfähigkeit dieser zum Teil äußerst talentierten<br />

Autoren, authentische und wertvolle Werke zu schaffen (waren sie doch<br />

gebunden an die offizielle Weltanschauung und deren Axiologie), war für mich<br />

der sichere Beweis für die grundlegende Hinfälligkeit dieser Ordnung. Wo war<br />

der Haken? Welches war der Grund ihrer Sterilität? Es war dies ihre bis ins Mark<br />

hinein idealistische Anth<strong>ro</strong>pologie. Der sozialistische Realismus ist von seinem<br />

Wesen her ein schlecht getarnter Idealismus. Der von dieser offiziellen Strömung<br />

präsentierte Mensch ist kein realer, sondern ein idealer Mensch, so wie er sein<br />

sollte; er ist kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern ein abstraktes Schema,<br />

das P<strong>ro</strong>jekt eines „neuen Menschen“, das von den anth<strong>ro</strong>pologischen<br />

Ingenieuren der Partei ausgearbeitet und den Genossen Kunstschaffenden zur<br />

Ausführung übergeben wurde. Bei Gott, wie soll denn solch ein Schema-Mensch<br />

überzeugen und bewegen? Und weil dieser Mensch unecht und irreal ist, ist<br />

alles, was man auf ihn aufgebaut hat unecht und hinfällig und wird eines Tages<br />

einstürzen. Dies war mein „ästhetisches“ Argument, das ich damals schon für<br />

den unausweichlichen Zusammenbruch des Kommunismus brachte.<br />

Dass im Kommunismus auch gute Werke geschrieben worden sind, ist<br />

kein Gegenargument. Im Gegenteil. Es stimmt, es wurden auch Meisterwerke<br />

geschrieben, aber eben nicht auf den ideologischen Denkschienen des Systems,<br />

sondern – mehr oder weniger subtil getarnt – außerhalb ihrer, wenn nicht gar<br />

gegen sie. Deswegen wurden die Schriften der Dichterin Achmatowa oder etwas<br />

später Pasternaks Doktor Schiwago von den Machthabern ja auch verurteilt.<br />

Was ein anderes wertvolles Werk betrifft, nämlich Michail Bulgakows Der Meister<br />

und Margarete, dies ist von Anfang bis zu Ende eine genial getarnte Kritik und<br />

Verhöhnung des Sowjetregimes. Ganz zu schweigen von Solschenizyns Buch<br />

Der Archipel Gulag, das in einem russischen Exilverlag erschien.<br />

Im Lager konnte man auch bei den deutschen Gefangenen Bücher finden,<br />

unter denen ich auch eine Gruppe von katholischen Priestern bemerkte, die ein<br />

Leben p<strong>ro</strong>funder christlicher Meditation führten. Ich lernte jenen kennen, der<br />

unter ihnen eine Art Vorrang genoss: Abt Fakler, ein kräftiger und heiterer Mann,<br />

offen für jederlei Gespräche, von dem ich mir ein sehr wertvolles Buch<br />

ausborgte, den von Pfarer, einem österreichischen katholischen Theologen,<br />

geschriebenen Paulus.<br />

Dieses Buch ergänzte meine Lektüre aller Briefe des Apostels Paulus mit<br />

einer Gesamtschau des Römischen Reiches sowie aller Konfessionen und<br />

Religionen, welche sich auf seinem Gebiet überschnitten, darunter sich auch die<br />

jüdische Diaspora befand, durch deren Vermittlung dieser faszinierende und<br />

unwiderstehliche Verkünder auch die anderen „Völker“ des Reiches mit der<br />

neuen göttlichen Botschaft bekannt machte. So gelang es ihm auch, aus dem,<br />

was die Pharisäer und Gelehrten der Zeit als eine „unbedeutende jüdische<br />

Sekte“ nannten, eine Weltreligion zu begründen, das Christentum. Dieses Buch<br />

tauchte viele der Worte des Apostels, die ich bis dahin leichtfertig übergangen<br />

hatte, plötzlich in ein neues Licht, das ungeahnte Kräfte verlieh. Von Paulus habe<br />

ich gelernt, dass der Wert einer wahren Idee in ihrer „Kraft“ liegt, in ihrer Macht,<br />

die Welt zu bewegen, zu verwandeln, wenn nicht gar zu verklären. Die anderen<br />

Ideen sind Gedankenspiele zur Ergötzung des Verstandes.

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