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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 253<br />

wolle er ihn weiter verhören, in den Karzer stecken, wo er sich wenigstens<br />

ausruhen könne. Nur so entkam er der Folter dieses Versuchs, ihn ideologisch<br />

wiederzugewinnen. Einem anderen linken Gefangenen erging es viel schlimmer.<br />

Es handelt sich um Irimescu. Dieser war ein richtiger Kommunist (Mitglied der<br />

vor Kriegsbeginn liliputanischen rumänischen kommunistischen Partei) und<br />

beanspruchte, von den „Genossen” aus der Lagerleitung wie ein ebenbürtiger<br />

„Genosse” behandelt zu werden und nicht wie ein Gefangener. Die „Genossen“,<br />

welche Demokratie wünschten, allerdings „nicht für Hündchen“, schickten ihn in<br />

die „Alba“, damit sich in deren Kühle sein marxistisches Fieber lege und er seine<br />

gegenwärtige Lage realistischer einschätze. Als er von da wieder raus kam, trat<br />

er in den Hungerstreik. Ich erinnere mich daran, wie er in seinem oben liegenden<br />

Bett der Pritsche lag. Er hatte ein ausgezehrtes Gesicht, mit g<strong>ro</strong>ßen, irrsinnig<br />

g<strong>ro</strong>ßen Augen, ein wahres Revolutionärsgesicht, anders als die fetten und<br />

<strong>ro</strong>sigen Schweinefressen der Genossen. Der Arme, man sah, dass die<br />

Enttäuschung ihn schrecklich leiden ließ. Er wird wohl tatsächlich an diese<br />

Utopie geglaubt haben, und nun betrachtete er stockstumm (er sprach mit<br />

niemandem) die beschmutzten Überreste eines zerb<strong>ro</strong>chenen Traumes. Sein<br />

Schweigen erinnerte mich an einen Vers Arghezis 120 : „Ich weiß zu schweigen,<br />

wenn der Traum gestorben“ 121 . Er verschwand mit einem Transport und keiner<br />

erfuhr mehr etwas über ihn.<br />

Aber um auf R\ducanu zurückzukommen, ich glaube, dass die Episode<br />

mit den Verhören ihn aufs höchste aufgebracht und ihn veranlasst hat, sich noch<br />

p<strong>ro</strong>funder für den Widerstand zu engagieren, und zwar im eigenen, singulären<br />

Stil. So erschien Hidra.<br />

Es ist ein wahres Wunder, wie es ihm als alleiniger Autor denn gelang,<br />

das Blatt in all der Enge und dem Gewimmel von Menschen in so vielen<br />

Exemplaren zu verfassen, ohne erwischt zu werden, ohne in die überall<br />

ausgelegten Fangnetze der bekannten und nicht bekannten Denunzianten zu<br />

tappen. Ganz zu schweigen davon, dass es mitten in der Nacht mit einer<br />

Pünktlichkeit in die Schlafsäle des Zielpublikums gelangte, die jeden Postdienst<br />

vor Neid hätte erblassen lassen!<br />

Dies war ein anderes Wunder, dessen Urheber der junge und<br />

sympathische aktive Gebirgsjäger aus den Reihen der „Krimler“, Unterleutnant<br />

Ilarion St\nescu, war. Diese Mission erfüllte er seinerseits ganz allein. Es scheint<br />

aber, dass er einmal einen Fehler beging und von der falschen Seite<br />

Aufmerksamkeit auf sich zog. Auf alle diesbezüglichen Fragen hin verneinte<br />

Ilarion jegliche Beziehung zur Hidra, weswegen ihn die Lokalbehörden ins Gorki-<br />

Gefängnis brachten, also an den idealen Ort zur Wahrheitsfindung. R\ducanu<br />

bewahrte kaltes Blut. Er wusste, dass das Ausbleiben der Hidra Ilarions<br />

Mitwirken bestätigt hätte. Also musste die Hidra um jeden Preis weiter<br />

erscheinen, und, obwohl sich die Schlinge um ihren Hals zusammenzog, sie tat<br />

es letztlich auch. Wie es scheint, wurden diese Ausgaben von R\ducanu nicht<br />

bloß verfasst, sondern auch verteilt. Ilarion, gegen den man keinen Beweis hatte,<br />

120 Tudor Arghezi (1880-1967) gilt als einer der bedeutendsten rumänischen Dichter des 20. Jahrhunderts.<br />

121 Im Orig.: „Eu #tiu t!cea cînd visul a murit.”

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