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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 531<br />

einer von der Zeit verschluckten Armee. Und weg müssen wir eh, denn hier<br />

trennen sich ja unsere Wege.“<br />

Mit einer kräftigen Umarmung, die schwere Jahre gemeinsamen Leidens<br />

in sich schloss, verabschiedeten wir uns.<br />

Nun allein geblieben in der Menge, die mich wie einen Tanzbär bestaunte,<br />

machte ich mich mit dem Rucksack auf dem Rücken zu Fuß auf den Weg nach<br />

Hause. Ich ging langsam, ohne jede Eile, nahm mein Herz in beide Hände und<br />

sprach mir Mut zu, um das schreckliche Territorium der Erinnerungen ohne<br />

Tränen zu durchqueren.<br />

Es war das Viertel meiner Kindheit und meiner ersten Jugendjahre.<br />

Bitte schön, da war „Dr\gu[”, das Restaurant der Bukarester<br />

Sommernächte, in dem der Lindenblütenduft sich in einem Kontrapunkt mit dem<br />

Duft der Mititéi 202 befand. Hier, unter seiner Weinrebenlaube, zwischen Sternen<br />

und Zukunftsträumen, feierte unsere Schulklasse das Abitur und den Eintritt in<br />

die Gesellschaft. Was war aus unserem Leben und all unseren goldnen Träumen<br />

jener warmen und unvergesslichen Nacht geworden?<br />

Nun bestand das Lokal nur noch aus ein paar Tischen mit befleckten<br />

Wachstischtüchern, an denen ein paar Kunden, beschwipst von der kräftigen<br />

Sonne und dem schlechten Bier, versuchten, sich aufzuheitern, all dies unter den<br />

gleichgültigen Blicken der apathischen „Ober“. Das Restaurant von einst, das<br />

nun ein „staatliches“ geworden war, führte jetzt ein Schattendasein als ein<br />

ungepflegtes und heruntergekommenes populäres „Wirtshaus“.<br />

Auch die Floreasca-Kirche meiner Kindheit schonte mich nicht vor der<br />

Enttäuschung. Wie strahlend weiß war sei, als ich sie vor neun Jahren<br />

zurückließ, und wie grau und demütig, scheinbar auch kleiner, wie ein von der<br />

Zeit gebeugtes Mütterchen, erschien sie mir nun. Aber die Statue? Wo war nur<br />

die Statue? Oh, die Schurken, sie hatten sie niedergemacht. Es war eine kleine<br />

B<strong>ro</strong>nzestatue, die Pfarrer Lupa[cu zur Erinnerung an das Opfer seines bei Dalnic<br />

gefallenen Sohnes auf einem bescheidenen Sockel aufgestellt hatte... Und die<br />

B<strong>ro</strong>nze? Haben sie natürlich geschmolzen. Um daraus sowie auch aus anderen<br />

auf wandalische Weise erbeutete B<strong>ro</strong>nze wessen Statue zu gießen?... Die<br />

Statue welcher Bestie aus der Quadriga der <strong>ro</strong>ten Apokalypse? Der letzten, jene<br />

Stalins?<br />

Ich setzte meinen Weg fort, ließ wehmütig so manche vertraute Stätte, an<br />

der mein Herz ein jedes Mal kräftiger erbebte, Revue passieren, bloß diesmal<br />

mischte sich in dies Beben ein fremdes, unbekanntes, fast feindliches Timbre. So<br />

als wollte mir jeder dieser Orte sagen: „Lass uns in Ruhe! Wir sind nicht mehr<br />

wir.”<br />

Und da stand ich dann, klitschnass wegen der Hitze, vor unserem Haus.<br />

Mit der Hand auf der Torklinke betrachtete ich dieses. Eine Villa mit Erdgeschoß<br />

(wo wir wohnten) und Obergeschoß (vermietet). Auch das Haus war gealtert.<br />

Wie g<strong>ro</strong>ß die Pappel geworden war, vor allem aber die Linde! Wir hatten sie am<br />

Tag unseres Einzugs in das neue Haus gepflanzt. Ich war damals 16. Mir schien,<br />

als habe sie mich wieder erkannt, denn sie neigte leicht einen Zweig über mein<br />

Haupt, als Willkommensgruß.<br />

202 Gegrillte Hackfleischröllchen.

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