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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 115<br />

27. DER KLUB<br />

Von den ersten Tagen der Quarantäne an erfuhren wir, dass das Lager<br />

auch über einen „Klub“ verfügte und dass es uns nach der Isolierung freistand,<br />

ihn zu besuchen. Die Existenz einer solchen Luxuseinrichtung inmitten all der<br />

uns umgebenden Misere war verwunderlich.<br />

„Was denn“, fragten ein paar ältere Hauptmänner den Starsch, die eifrige<br />

Besucher des Klubs in ihrer Heimatgarnison gewesen waren, „ist das wirklich ein<br />

Klub wie bei uns? Kann man da ein Spielchen Poker oder Baccara machen, oder<br />

etwa «Chemin de fer!?“<br />

„Klar doch“, antwortete der Starsch, wobei er ein Lächeln unterdrückte.<br />

„Ihr werdet sehen, wie gut ihr euch da fühlen werdet.“<br />

„Gibt’s auch Roulette?“, fragte ein anderer.<br />

„Klar doch“, bestätigte der Starsch. „Wisst ihr denn nicht, dass die Russen<br />

die größten Roulettspieler sind?“<br />

Schließlich traf dann auch der Augenblick der Wahrheit in dieser<br />

aufregenden Angelegenheit des „Klubs“ ein. Am letzten Tag der Quarantäne<br />

brachen wir nach dem Mittagessen in Kolonne und mit dem Starsch voran<br />

Richtung Gebäude 2 auf, in dessen Obergeschoß der Klub eingerichtet war. Als<br />

wir diesen betraten, stellten wir überrascht fest, dass es da nicht die Spur von<br />

Spieltischen gab. Was sich uns darbot, war eher ein Veranstaltungssaal. Vorne<br />

standen etliche Reihen von Stühlen; hinten, etwa einen Meter höher, war die<br />

Bühne; dazwischen, der Orchesterraum. Ein beidseitig offener <strong>ro</strong>ter Vorhang ließ<br />

freien Blick auf die Wand hinter der Bühne, an der die Sakramentsinsignien des<br />

Regimes prangten: Sichel und Hammer, darunter die Porträts der vier g<strong>ro</strong>ßen<br />

Klassiker des Marxismus’. Davor stand, von einem bis zum anderen Ende der<br />

Bühne, ein langer Tisch, den eine bis auf den Boden hängende <strong>ro</strong>te Tischdecke<br />

einhüllte. An der Rückseite des Tisches reihten sich erneut von einem bis zum<br />

anderen Ende, wie beim Tribunal, wie bei einem Revolutionsgericht, lauter<br />

Stühle. Wir setzten uns auf die Stühle im Saal und warteten schweigend darauf,<br />

es mögen die Schauspieler auftreten. Die auch nicht auf sich warten ließen. Von<br />

beiden Seiten traten sie auf die Bühne, und ein jeder nahm den für ihn<br />

vorbestimmten Platz ein, ausgenommen den in der Mitte, das war der Stuhl des<br />

Vorsitzenden, der etwa eine Minute lang leer blieb. Als dann sein Inhaber<br />

erschien – kein anderer als der Politkommissar Codler, erhoben sich die<br />

Beisitzer am <strong>ro</strong>ten Tisch zeremoniös, zum Zeichen des Respekts, eine Geste,<br />

die von uns Saalgästen aber nicht befolgt wurde. Codler machte ihnen wie auch<br />

uns mit derselben Herablassung ein Zeichen, Platz zu nehmen, auch wenn wir<br />

uns ja gar nicht erst von unseren Stühlen gerührt hatten. Dann erklärte er die<br />

Sitzung für eröffnet und forderte einen seiner Speichellecker auf, aus der<br />

Iswestija einen umfassenden Beitrag zur F<strong>ro</strong>ntlage zu übersetzen. Während<br />

dieser sich und uns mit der Übersetzung quälte, beobachtete ich der Reihe nach<br />

die Gesichter derer, die im Präsidium saßen. Vor uns befanden sich all die<br />

g<strong>ro</strong>ßen Dinosaurier der so genannten „Dienstleistung“: die Kochsen,

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