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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 449<br />

Der Weg aber war t<strong>ro</strong>tzdem wunderschön, zur Linken die irrealen Saphire<br />

des Meeres, zur rechten die Steppe, an deren Horizont ein Pinienwäldchen<br />

aufleuchtete. Die „Fata Morgana“, die ich dort und damals zum ersten und letzten<br />

Mal sah. Sie verschwand und tauchte in eigenwilliger Weise wieder auf, legte ab<br />

und zu zwischen sich und die Steppe ein schmales silbernebliges Band, vielleicht<br />

auch die Wellen eines Sees. Woher bloß, von wie viel hundert Kilometern weit<br />

sollte diese Luftspiegelung an unseren Horizont versetzt worden sein?<br />

Plötzlich hielt der Chauffeur den Wagen an, damit der Vergaser auskühle.<br />

Wir nutzten die Gelegenheit und stiegen mit der Erlaubnis des Chefs der<br />

Wachmannschaft vom LKW. Als ich meinen Blick über die Landschaft schweifen<br />

ließ, die sich rechts und links von der Landstraße erstreckte, erstarrte ich. Wir<br />

befanden uns mitten auf dem Schlachtfeld der Schlacht vor acht Jahren. Siehe<br />

da, rechts lagen die Seen mit ihren pechschwarzen Wellen. Und links – das<br />

azurne Band des Meeres, dazwischen die Landstraße, auf der wir nun bequem<br />

dastanden, die aber damals die Achse unserer wiederholten verzweifelten und<br />

gescheiterten Angriffe gewesen war, die verfluchte Landstraße, die unentwegt<br />

vom Kugelhagel gepeitscht wurde. Wie oft nicht hatte ich sie auf dem Bauch<br />

kriechend überquert, von einer Seite zur anderen und zurück, stets in<br />

Lebensgefahr, um irgendeinen Befehl auszuführen, der meistens absurd oder<br />

wirkungslos war! Da waren sie auch, unsere Gräben und Unterstände, nun von<br />

Unkraut überwuchert, aber noch zu erkennen, noch hatte sie die Zeit nicht<br />

eingeebnet.<br />

Und irgendwo zur rechten, in der Nähe, da musste auch mein<br />

vorgezogener Artilleriebeobachtungsposten sein (ein toller, mit Schienen und<br />

Eisenbahnschwellen gepanzerter Beobachtungsposten!), denn ich erkannte den<br />

Saum des Akazienwaldes wieder, in dem der Feind sich ausgezeichnet in die<br />

Erde eingegraben hatte und den ich stets im Visier meines Fern<strong>ro</strong>hrs hatte. Von<br />

jenem Waldsaum her wurden tausende Wurfminen und Katjuschas auf uns<br />

abgefeuert; aber auch meine Artilleriekompanie antwortete dementsprechend mit<br />

tausenden von Haubitzengranaten, denn von dem Waldsaum blieb letztlich nur<br />

noch ein Feld voller Baumstümpfe übrig. Aber unter den Baumstümpfen her<br />

spuckten ihre Unterstände, die von unseren Granaten nicht gefunden worden<br />

waren, weiterhin ein vernichtendes Feuer auf uns. Nun war das Baumstumpffeld<br />

wieder zu einem stolzen Akazienwald geworden, einmal mehr ein Beweis für den<br />

Sieg der sich regenerierenden Natur über den zerstörerischen Wahnsinn des<br />

Menschen. Einen geschlagenen Monat lang, so lange ich in diesem verfluchten<br />

Abschnitt der Landstraße Nikolajewo-Odessa kämpfte, lebte ich in vollster<br />

Intimität mit dem Tode. Nachts kamen an mir vorbei Infanterieeinheiten aus<br />

verschiedenen Regionen Rumäniens, bezogen Stellung an der Aufbruchlinie,<br />

etwa 50-60 Meter von meinem Posten entfernt, und im Morgengrauen gingen sie<br />

zum Angriff über, um bis zum letzten Mann niedergemetzelt zu werden. Dann<br />

brachen die Sowjets wie eine Menschenmauer zum Gegenangriff auf, um in den<br />

Feuervorhang unserer Artillerie einzudringen, aus dem keiner mehr lebend<br />

hervorkam.<br />

Und so bedeckten unsere Toten vermischt mit ihren Toten das<br />

Schlachtfeld, welches in der Hundehitze eines langen Sommers wie ein Ofen<br />

glühte, in dem die Toten nicht mehr in Verwesung gerieten, sondern

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