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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 482<br />

viertelstündigen Abständen einige Male, so dass es uns letztlich zu stören<br />

begann.<br />

Die Betten waren aus Eisen und jeweils zu zweit übereinander gestellt. S.<br />

schlief in dem unten, und auf dem über ihm schlief Tase T\lp\[eanu. Zwischen<br />

zwei Auftritten des Offiziers vom Dienst suchte S. in Eile seine wichtigsten<br />

Sachen zusammen, kleidete sich an und k<strong>ro</strong>ch sofort unter die Decke, sowie die<br />

Tür wieder aufging. Er weckte Tase auf und bat ihn, seine Strümpfe mit ihm zu<br />

tauschen. Dann bespritzte er mit Pet<strong>ro</strong>leum aus einer Flasche sein ganzes Bett<br />

und gleich nachdem der Offizier erneut durch die Tür geschaut hatte,<br />

verschwand er.<br />

Alarm, Flüche, Schreie, zugeschlagene Türen, die Wärter stürmten mit<br />

Hunden in den Schlafsaal, und auch die ununterb<strong>ro</strong>chene Sirene vom Tor<br />

weckten uns und ersch<strong>ro</strong>cken fragten wir uns, was denn passiert war. „Sandu<br />

Gabriel ist geflüchtet“, hörte man durch den ganzen Schlafsaal. Man brachte<br />

einen g<strong>ro</strong>ßen Hund, der berühmt war für die Präzision seines Geruchs, mit<br />

dessen Hilfe er viele Verbrecher ausfindig gemacht hatte. Er rümpfte die Nase,<br />

als er auf das Pet<strong>ro</strong>leum stieß, sog aber gierig den Geruch von Tases Strümpfen<br />

ein und brach schnuppernd auf die Suche nach Sandu auf – auf den Wegen, die<br />

Tase zurückgelegt hatte. Wichtige Zeit, welche die Verfolger vergeudeten, die<br />

aber dem Verfolgten diente.<br />

Am Tag darauf erschien beim Morgenappell der Oberst und<br />

Lagerkommandant in Person, ein rundlicher und übrigens anständiger Ukrainer<br />

(so anständig denn auch ein NKWD-Mann sein kann), der, als er unsere<br />

strahlenden Gesichter sah, uns darauf hinwies, dass unsere Freude von kurzer<br />

Dauer sein werde, denn in den nächsten Stunden (dann korrigierte er sich: „in<br />

den nächsten Tagen“) werde er uns den Flüchtling in Handschellen vorführen.<br />

Jenseits davon, dass kein zivilisiertes Land oder das sich als ein solches ausgibt,<br />

den eingefangenen Flüchtlingen Handschellen anlegt, gilt doch die Flucht in den<br />

zivilisierten Staaten als ein natürliches Recht der Gefangenen, sollte sich die<br />

Vorhersage des Kommandanten weder in den folgenden Tagen, noch in den<br />

folgenden Wochen und auch nicht in den folgenden Monaten erfüllen. Ungefähr<br />

einen Monat nach diesem Ereignis hingegen stieß einer unserer Jungs (B\lu]\,<br />

ein Lehrer aus der Neam]er Gegend), der dem Fluchtheld näher gestanden<br />

hatte, in einem gerade erhaltenen Brief auf folgenden Abschnitt: „Herr Sandu hat<br />

unsere Herzen gestreichelt mit den guten Nachrichten davon, wie es dir dort<br />

geht.“ Wahrscheinlich war es die schmeichelhafte Einschätzung des<br />

Lagerlebens, die dazu führte, dass diese außergewöhnliche Nachricht durch die<br />

Zensur gegangen war.<br />

Sandu Gabriel hatte es also geschafft. Hip, Hip, Hurra! Der rundliche<br />

Kommandant hatte die Gelegenheit verpasst, ihn uns in Handschellen<br />

vorzuführen und selber vor Genugtuung zu strahlen.<br />

Nun, da er – zu unserer allgemeinen Genugtuung – daheim und in<br />

Sicherheit war, erfuhren auch wir, die Nichteingeweihten, einiges über seine<br />

tatsächliche Identität sowie auch Details über seine spektakuläre Flucht – die ihn<br />

als einen Spezialisten auswies, Einzelheiten, die seinen wenigen intimen<br />

Freunden bekannt und von diesen geheim gehalten worden waren, und nun, da<br />

deren Enthüllung ihn nicht mehr gefährden konnten, preisgegeben werden

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