15.01.2013 Aufrufe

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 259<br />

66. BLUT UND SCHNEE. DIE FOLGEN „YALTAS“ IN DER<br />

SOWJETISCHEN SKLAVEREI<br />

Es verstrich auch der Sommer, und wenn der Abendappell nahte, wurden<br />

unsere Schatten länger und länger, nahmen im goldenen Licht des Herbstes eine<br />

klarlila Farbe an, Folge eines Lichteffekts, den man nur an jenem Breitengrad<br />

findet.<br />

Vorbei gingen auch die letzten Blutrötungen des Taigalaubs, das einen<br />

schneeweißen Verband bekam. Und so fanden wir uns plötzlich mitten im Winter<br />

wieder, im Winter 1945-1946 – der vierte meiner Gefangenschaft.<br />

Der Winter ist schön, aber nicht auch, wenn man Gefangener der Sowjets<br />

ist. Als die Waldwege zugeschneit wurden, war es zunehmend schwerer, das<br />

„Elfenbein“ heranzuschleppen, und die Reaktionen der Wachsoldaten wurden<br />

zunehmend <strong>ro</strong>her, wilder. Weigerten sich jene, die mit ihren Kräften am Ende<br />

waren, weiter den Schlitten zu ziehen, wurden sie sofort mit Gewehrkolben<br />

traktiert, und wer hinfiel, wurde schlichtweg mit Füßen getreten, und dies vor den<br />

bejahenden Augen Gristschuks, des Lagerkommandanten, und unter dem<br />

ermutigenden Gegrunze Oberst Vazurins, seines Stellvertreters. Was letzteren<br />

betrifft, so gestehe ich, dass ich mein Leben lang keinen Menschen gesehen<br />

habe, der besser als er einem Schwein glich. (Ich erkannte ihn sofort wieder in<br />

der „Führer“-Figur aus Orwells Film Die Tierfarm.) Er war fett, <strong>ro</strong>t im Gesicht,<br />

quasi ohne Hals. Als Fresse trug er eine Art sommersp<strong>ro</strong>ssige Schnauze mit<br />

stacheligen, <strong>ro</strong>ten Bartstoppeln. Er hatte kleine und böse Augen mit fast weißen<br />

Augenwimpern. Sah er die Opfer bluten, erregte ihn dies wie ein Raubtier. Dann<br />

stampfte er in seinen Filzstiefeln im Schnee auf und feuerte grunzend seine<br />

Eisenfresser an. Was konnten wir denn tun, die wir hilflos aus dem Lager diesen<br />

p<strong>ro</strong>grammatischen Bestialitäten beiwohnten, die jenseits des Tores stattfanden,<br />

als zu schreien und zu brüllen?<br />

Ein Generalstreik kam noch nicht in Frage; die Leute waren noch nicht<br />

vorbereitet für so etwas. Noch schwebte die Hoffnung auf die Repatriierung<br />

gleich einem täuschenden Zauber in der Luft, und eine Konf<strong>ro</strong>ntation mit der<br />

Verwaltung hätte deren Chancen reduziert. Was also konnte getan werden? Die<br />

Zähne zusammenbeißen und – wie der P<strong>ro</strong>phet sagt – Zorn aufhäufen „für den<br />

Tag des Zorns!“<br />

(„Voll ist der Krug des Zornes, wandelt mit Vorsicht!<br />

All unser Leiden hat drin sich versammelt.<br />

Verschüttet kein Tröpfchen davon, bis sein Tag nicht kommt!<br />

Draus füllen wird ein Engel mit Feuerzügen seinen Kelch<br />

Und den brennenden Inhalt vergießen<br />

Über der Bestie Reich.“<br />

Verse des Zorns, die ich im Zorne verfasst.)

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!