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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 81<br />

„Mensch, Radu, komm schon, mach keine Dummheiten, du kannst doch<br />

jetzt nicht einfach am Ziel ertrinken.“ Während die Bewachungssoldaten<br />

darangingen, die Gefangenen in den Hallen unterzubringen, um die letzte Nacht<br />

über ein Dach über dem Kopf zu haben, weg aus dem Blickfeld der Wölfe, kam<br />

Dwoeglasow zu unserer Gruppe, blickte Radu an und machte uns ein Zeichen,<br />

ihm zu folgen. Es gesellten sich uns noch einige Dutzend Soldaten hinzu, die<br />

keinen Platz mehr in den Hallen gefunden hatten. Er blieb vor einem kleineren,<br />

sorgfältiger errichteten Gebäude stehen und befahl uns, die zugesperrte Tür<br />

aufzubrechen.<br />

Wir traten ein und fanden uns in einem Klassenzimmer, in einem richtigen<br />

Klassenzimmer wieder, mit Bänken, Pults und einem Lehrerpult auf einem<br />

Podium, mit schwarzer Tafel, und dazu gab es spezielle Regale mit<br />

Reagensgläsern und Retorten.<br />

„Na, P<strong>ro</strong>fessor, jetzt habe ich dir eine Klasse und ein Katheder verschafft.<br />

Was brauchst du denn noch, um unterrichten zu können?“, spaßte er.<br />

Dann rieb er seine Hände, denn es war kälter als draußen, und entdeckte<br />

plötzlich im hinteren Teil der Klasse einen g<strong>ro</strong>ßen Kachelofen mit Herdplatte. Er<br />

zeigte ihn uns und erteilte uns einen Befehl, der uns total verblüffte.<br />

„Zerschlagt all diese Bänke und Pults und legt sie aufs Feuer!“ Und,<br />

während ich noch ungläubig darauf wartete, dass Cre]u seine Übersetzung zu<br />

Ende brachte, ergriff Dwoeglasow, um mich aus meinem Staunen zu reißen, eine<br />

Schulbank und schlug mit ihr auf ein Pult nieder, dass sie nur so<br />

auseinandersplitterte.<br />

„Im Kriege, wie im Krieg!“, entschuldigte er sich. „Ich kann euch doch<br />

diese Nacht nicht erfrieren lassen, nachdem ich euch mit soviel Schwierigkeiten<br />

bis hierher gebracht habe!“<br />

Meine Jungs warteten nicht länger und machten sich daran, Bänke und<br />

Pults zu Kleinholz zu schlagen, um sie zu verfeuern – vor den entsetzten Augen<br />

Lenins und Stalins, die aus ihren über der Tafel aufgehängten Bilderrahmen<br />

hilflos diesen Selbstzerstörungsp<strong>ro</strong>zess von sowjetischem Gut verfolgten… Bald<br />

darauf begann das Feuer zu prasseln, dass die Herdplatte <strong>ro</strong>t aufglühte. Durch<br />

das Wohlwollen meines Usbeken stellten wir einen Eimer mit Wasser, mit<br />

richtigem Wasser und nicht mit geschmolzenen Schnee, drauf, und mit zwei drei<br />

Aspirintabletten und einer guten Massage holten wir unseren Radu zurück ins<br />

Leben, und in der vom Kachelofen verströmten Wärme schlief er wie ein<br />

Säugling ein.<br />

Das Gleiche taten auch die anderen, nachdem sie ein Kännchen heißen<br />

Wassers getrunken und dazu einen Bissen B<strong>ro</strong>t – oder auch nicht – verzehrt<br />

hatten. Mein Usbeke und zwei weitere Tschassowojs blieben bei uns, um uns zu<br />

bewachen. Sie hatten auf das Lehrerpult eine brennende Sturmlampe gestellt<br />

und sich aufs Podium gelegt.<br />

Obwohl ich hundemüde war – oder vielleicht gerade deswegen, wollte sich<br />

der Schlaf bei mir einfach nicht einstellen. Ein Gefühl der Entspannung hatte sich<br />

meines gesamten Wesens bemächtigt. Es war, als ob ein bleischwerer Mantel<br />

von meinen Schultern geglitten wäre: die Verantwortung. Ja, ihre Last war mir<br />

jetzt abgenommen worden, und an ihrer Stelle machte sich eine diffuse<br />

Zufriedenheit dafür breit, dass ich einen angenommenen Auftrag unter den

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