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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 459<br />

Gefühle sparten sie sich für die slawischen Besatzer auf), behandelte sie<br />

menschlich und ließ die Zügel recht frei.<br />

Er erzählte mit Bewunderung vom Basar der Stadt, an dem sie auf dem<br />

Weg zur Arbeit (zum Baumwollpflücken) vorbeikamen, von dem Reichtum und<br />

der Schönheit der auf bunten und wertvollen Bucharateppichen feilgebotenen<br />

Waren (dies im Kontext des allgemeinen sowjetischen Elends und Verfalls), von<br />

der Opulenz und dem Lebensstil, der noblen Haltung, der Ruhe und der<br />

Courtoisie der kirgisischen Händler – verglichen mit dem räudigen Aussehen<br />

nach verwilderten und ausgehungerten Hunden der Zugezogenen (der Malo-,<br />

der Weiß-, der Velikorussen), die eine von Missbrauch und Tyrannei<br />

gekennzeichnete Herrschaft ihnen als Kolonisten vor die Tür gestellt hatte.<br />

Gegenüber diesen heruntergekommenen Fremden benahm sich der<br />

kirgisische Händler gerade so, als hätte er ihre physische Präsenz gar nicht erst<br />

wahrgenommen. Hingegen war er freundlich zu den Deportierten und<br />

Gefangenen. Weil er mit ihnen etwas gemeinsam hatte – den gleichen<br />

Unterdrücker.<br />

Aber Durrieux musste nicht allzu lange als Baumwollpflücker schuften und<br />

schaffte es recht bald, ein kleines symphonisches Orchester auf die Beine zu<br />

stellen, mit dessen Hilfe er die existentiellen Traumen der Tausenden von<br />

Entwurzelten mit der legendären Therapie der Musik behandelte. Da ihn die<br />

Schönheit der Landschaft und der ihn umgebenden Welt verführte und er im Ohr<br />

unentwegt das aufwühlende und wollüstige Rauschen des orientalischen Melos<br />

hatte, verfasste Durrieux, der ja auch Komponist war, ein symphonisches Poem,<br />

das er Ferganà nannte.<br />

Nachdem er dieses einige Male auf der Bühne des Lagers mit riesigem<br />

Erfolg aufgeführt hatte, kam ihm eine Idee! Er sandte das Poem an den<br />

Komponistenverband in der Hauptstadt der lokalen Republik in der Hoffnung, er<br />

könnte durch diese kleine Schmeichelei die okkulten Mächte dazu bewegen, ihn<br />

freizulassen. Monate vergingen. Keine Antwort.<br />

„Ich hatte jegliche Hoffnung aufgegeben“, fuhr D. fort. „Selbstverständlich<br />

ist meine Komposition im Papierkorb gelandet“, habe er sich traurig gesagt.<br />

„Als eines Tages (ich wusch mir gerade die Hände im Waschraum) ein<br />

Kollege, ein Musiker auch er, die Tür aufriss und mir zurief: «Komm schnell in<br />

den Esssaal! Im Radio bringen sie gerade deine Ferganà!!“<br />

„Mein Gott, wie wunderbar klang mein Poem interpretiert von einem<br />

g<strong>ro</strong>ßen, richtigen Orchester, mit Bläser- und Blechquartetten und mit der ganzen<br />

Perkussion (und nicht bloß mit dem Streicherquartett wie mein armseliges<br />

Orchester). Wie nostalgisch klang hier die Oboe! Wie laszive das Tamburin! Wie<br />

hell war die Explosion der Tschinellen! Ich lauschte verzaubert und atemlos<br />

meinem Werk. Oft schon hatte ich der Uraufführung einer meiner Kompositionen<br />

beigewohnt, sei es am Pult, sei es im Saal. Aber noch nie hatte mich eine so<br />

erschüttert wie diese. Denn hier ging es um viel, viel mehr. Man spielte mich im<br />

Radio. Dies bedeutete Repatriierung!“<br />

„Schließlich ging es auch dem Ende zu: ein orientalischer Tanz (mit<br />

authentischen kirgisischen Themen, die ich im Flug im Basar aufgefangen hatte),<br />

ein lasziver Tanz, dem das Tamburin den Rhythmus vorgab und der in einem<br />

Meer von Schweigen endete. Dann brach plötzlich ein kräftiger Applaus los bis

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