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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 513<br />

mit solchen aus den heißen Steppen Kasachstans; das Schweigen der Taiga von<br />

jenseits des Urals legte sich über das Rauschen der Zypressen von der Krim; die<br />

Fressen der gemeinrechtlichen Verbrecher – die Blatnois 190 Workutas –<br />

überlappten sich mit den fauligen Fischfressen der Richter an den Tribunalen<br />

von Gorki oder Kasan. Es befanden sich hier eine Menge rumänischer Offiziere,<br />

etwa jene von Oranki, von denen wir 1946 getrennt worden waren (auch sie<br />

hatten den Repatriierungszug von 1948 verpasst – darunter Hauptmann Stoica,<br />

der Knochenschnitzer, Mih\ilescu, der „<strong>ro</strong>te Mann“ u.a.), es gab auch Soldaten,<br />

die aus den Bergwerken repatriiert worden waren und seinerzeit das Risiko,<br />

unter Erde umzukommen, der Heimkehr als „Freiwillige“ mit den Divisionen<br />

„Tudor Vladimirescu“ und „Horia, Clo[ca und Cri[an“ vorgezogen hatten. Es gab<br />

Soldaten, die in den Bergwerken Sibiriens, in denen sie ihre verschütteten<br />

Kameraden zurückgelassen hatten, vergessen worden waren und deren<br />

verwirrten Augen sich noch nicht wieder ans Tageslicht gewöhnt hatten. All jene,<br />

die der Rote Leviathan bitterlange Jahre in seinem Bauch gefangen gehalten<br />

hatte, erbrach er jetzt in dieses Gebiet wie einen in Dutzenden oder hunderten<br />

von Exemplaren vervielfältigten Jonas, und jeder erinnerte sich daran und<br />

erzählte uns, durch was für Eingeweide er durch musste, um unverdaut zu<br />

bleiben.<br />

Das am meisten angesp<strong>ro</strong>chene Diskussionsthema blieb jedoch das Ende<br />

„des Hungerstreiks von Oranki im Februar 1948“. Jenes blendende Lichtmoment<br />

in der gesamten Kette von Niederlagen und Demütigungen unserer<br />

Gefangenschaft, der Augenblick der Apotheose, der Krönung unseres<br />

Widerstandes mit der Gewissheit eines Sieges, jener der Repatriierung, tauchte<br />

immer wieder auf in unseren Fragen, wollten wir doch so viele Einzelheiten wie<br />

irgend möglich über dieses unglaubliche Ereignis erfahren. Allerdings hatten wir<br />

Grund genug, stolz zu sein: Keine der in der sowjetischen Gefangenschaft<br />

vertretenen Nationen hatte es, gleich uns, geschafft, den Sowjets die<br />

Repatriierung durch die Kampfaktion eines Hungerstreiks abzuringen.<br />

Die Atmosphäre war wie geschaffen für all diese Geschichten und<br />

Schicksalsbegegnungen, war doch die Verwaltung dieses Transitlagers<br />

schlechthin überfordert von der Übermenge von Gefangenen, die ankamen und<br />

wieder weitergeleitet wurden, sie verfügte weder über Zeit, noch über Mittel, uns<br />

zu kont<strong>ro</strong>llieren, so dass wir ganz uns selbst überlassen waren.<br />

Durch das Transitlager kamen aber nicht bloß Gefangene, sondern auch<br />

Deportierte. Dies waren vor allem Deutsche, sei es Banater Schwaben, sei es<br />

Siebenbürger Sachsen, manche mit ihren Familien, andere fanden diese hier<br />

erst wieder, die Frau den Mann, die Eltern die Kinder. Wir wohnten bewegenden<br />

Szenen bei, etwa wie Mann und Frau einander nach Jahren der Trennung wieder<br />

fanden, aber auch dem schmerzlichen Weinen einer Mutter, als sie erfuhr, dass<br />

ihr Sohn für immer am Grunde eines Bergwerks im Donbass zurückgeblieben<br />

war. Die Mehrheit dieser Deportierten hatte in Fabriken und Bergwerken<br />

gearbeitet, und von dem geringen Lohn, den sie in diesen Jahren erhalten<br />

hatten, war es ihnen gelungen, sich vom Basar Nutzgegenstände und elektrische<br />

190 Lagerjargon: eine Art Natschalniks (Chefs) aus den Reihen der Schwerverbrecher – die eigentlichen<br />

„Herren“ der Lager.

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