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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 346<br />

Der Major (nach ein paar misslungenen Versuchen, ein Alphabet zu<br />

entziffern, dem er bis dahin noch nicht alle Geheimnisse aufgedeckt hatte): „Ließ<br />

doch du, Cotea, ich habe meine Brille nicht dabei.“<br />

Vasile Cotea: „Hauptman B\lan Alexandru, Leutnant Cojocaru Nicolae, die<br />

Unterleutnants: Clonaru Victor, Teodorescu Ion, B\lan Dumitru…“ (hier machte<br />

er g<strong>ro</strong>ße Augen und seine Stimme hielt kurz inne) „und Cotea Vasile… Sieh an,<br />

die Teufelskerle, haben mich auch auf die Liste gesetzt!“ Lachen im Publikum.<br />

Dann las Cotea noch drei, vier Namen.<br />

Mitic\ B\lan (zu mir): „Radu, gib mir bitte deinen Mantel, damit ich im<br />

Karzer nicht erfriere!“<br />

Ich: „Nimm ihn, Mitic\, aber hast nicht du zuvor gesagt, sie hätten keine<br />

Kugeln mehr?“<br />

Mitic\ B\lan: „Das ist ihre Taktik. Hast du vergessen, dass sie an der<br />

F<strong>ro</strong>nt, bevor sie sich zurückzogen, mit der Artillerie die Erde auf den Kopf<br />

stellten, dass wir glaubten, sie machen uns platt? Danach vergingen viele Tage,<br />

bis wir wieder auf sie stießen. So werden sie es auch jetzt machen. Du wirst<br />

sehen!“<br />

Ich: „Dein Wort in Gottes Ohr!“<br />

Nae Cojocaru (zu mir): „Pass auf! Wenn sie unsere Forderungen<br />

bewilligen, esst auf keinen Fall, bis sie nicht auch uns aus dem Karzer holen und<br />

hierher zurückbringen! Der Streik hört nur in Anwesenheit aller Teilnehmer auf.“<br />

Ich: „Hab’s notiert. Geht gesund und kommt siegreich wieder! Mit Gott<br />

voran!“<br />

Und erneut rann aus der Sanduhr der Zeiten die Lauge einer toten<br />

Wartezeit. Die Kommentare, die vom optimistischen zum pessimistischen Pol<br />

hin- und herschwankten, ermüdeten uns letztlich und hörten alsbald gänzlich auf.<br />

In schweigsamer Abfolge gingen das Abendessen, die Abendzählung und der<br />

Zapfenstreich vorüber und nichts passierte. Keiner von uns legte sich schlafen,<br />

keiner entkleidete sich. Wir warteten schweigend, dass etwas passierte. Wir<br />

saßen auf den Bettkanten, auf den Bänken und rings um den Ofen, mit den<br />

angezündeten Fidibussen in den Händen, warteten wie jene fünf weise<br />

Jungfrauen auf die Ankunft des Bräutigams. Der als Vasile Cotea erschien.<br />

Dieser drang stürmisch in die Baracke ein mit einem Vorhängeschloss in der<br />

einen Hand, während er mit der anderen ein Blatt Papier hin- und herflatterte,<br />

und ihm folgte der Offizier vom Dienst, der Major, der eine P<strong>ro</strong>zession von<br />

Köchen anführte, welche dampfende Kessel heranschleppten, aus denen<br />

aufreizende Gerüche strömten.<br />

„Brüder, wir haben gesiegt!“, brüllte Cotea mit seiner tiefen Stimme. „Wir<br />

sind den Karzer los.“ Er warf das Schloss auf den Tisch. „Und wir sind auch vom<br />

Joch der Arbeit befreit. Seht, dies ist ein vom Herrn Oberst, dem Stellvertreter<br />

des Ministers, unterzeichnetes Dokument. Soll ich vorlesen?“<br />

„Mach schon, mach schon!“, schrie die Menge elektrisiert. Und beim<br />

zitternden Licht der Fidibusse las Cotea dies unglaubliche Dokument vor. Mein<br />

Gedächtnis wagt es nicht, ad litteram den Wortlaut dieses Exempels<br />

sophistischer Dialektik wiederzugeben, wodurch der Autor seine Niederlage<br />

hinter einer verächtlichen Minimalisierung unserer Forderungen versteckte – die<br />

er aber t<strong>ro</strong>tzdem bewilligte. Den Ausgangspunkt der Argumentation bildete die

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