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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 228<br />

sei, das Interesse, das Sie meiner Oper entgegenbringen, schmeichelt mir. Fünf<br />

Seiten darüber zu schreiben, das hat keiner meiner heißesten Beifallsspender<br />

geleistet. Sie hingegen, obwohl Sie mich in Frage stellen, taten dies. Ich danke<br />

Ihnen und betrachte Sie als meinen ersten Exegeten. Auf Wiedersehen!“<br />

Wir hatten an einem Sonntag die erste Aufführung gehabt, und es folgten<br />

die ganze Woche, Abend für Abend, weitere Vorstellungen, ohne auch nur einen<br />

Tag Pause. Es mag unglaublich scheinen, was ich sagen werde, aber in all<br />

dieser Zeit habe ich vor Überreizung kein Auge zugemacht. Ich legte meine<br />

gesamte Leidenschaft in mein Spiel, all meine geistigen und physischen<br />

Ressourcen. Am Ende einer jeden Vorstellung war ich erschöpft, aber ich konnte<br />

– vielleicht auch gerade deswegen – kein Auge schließen. Woher nur nahm ich<br />

die Kraft für jeweils eine neue Abendvorstellung? Ich weiß es nicht. Wiederholte<br />

sich etwa das Wunder der Grenzsituationen der Gewaltmärsche in den ersten<br />

Wochen der Gefangenschaft, als ich unzählige Male die Kolonne von vorne bis<br />

hinten und von hinten bis zurück an die Spitze abging, um sie wieder zu ordnen,<br />

ohne dass ich dabei Müdigkeit, Hunger oder den F<strong>ro</strong>st spürte? Ich weiß es<br />

nicht… Auf jeden Fall, die Verantwortung für das Schauspiel, das Spiel auf des<br />

Messers Schneide, die Angst vor der Suspendierung, all dies hielt meine Augen<br />

offen bis der Morgen graute. Ich konnte nicht mehr. Und die Jungs waren auch<br />

müde.<br />

Da ging ich zum Starsch des Lagers – zu Major Popescu – und bat ihn um<br />

eine Ruhepause. Er wollte nichts davon hören.<br />

Am 12. Februar, ein Sonntag, war für den Abend die übliche Aufführung<br />

p<strong>ro</strong>grammiert, die achte. Aber am Nachmittag wurde in den Klub eine<br />

Versammlung der „Freiwilligen“ einberufen, exklusiv für sie.<br />

Vom Rayon, zu dem wir gehörten, war der Kulturverantwortliche, ein<br />

NKVD-Oberst, höchstpersönlich angereist, um die Sitzung zu leiten. Im Lager<br />

ging das Gerücht von einer Gipfelkonferenz auf Yalta um, die gerade<br />

stattgefunden habe, und man rechnete damit, in der Sitzung diesbezüglich<br />

informiert zu werden. (Tatsächlich fand zwischen dem 4. und dem 11. Februar,<br />

also genau während wir unseren Basar der Illusionen aufführten, die Konferenz<br />

von Yalta statt, ein anderer Basar der Illusionen, allerdings auf eu<strong>ro</strong>päischer<br />

Ebene, bei deren Ausgang die legitimen Erwartungen von mehr als 100 Millionen<br />

Menschen des alten Kontinents sich gleich genau so vielen leeren Illusionen in<br />

Luft auflösten.<br />

Endlich ging die Sitzung zu Ende, und die Teilnehmer aus unserem<br />

Schlafsaal stürzten voll gepackt mit Neuigkeiten herein.<br />

„Das Schauspiel Basar der Illusionen ist suspendiert worden! Der Basar ist<br />

suspendiert worden. Der Basar wurde geschlossen.“<br />

„Wie? Was ist denn? Was ist los?“ fragten wir erstaunt durcheinander.<br />

Daraufhin begann einer der Teilnehmer das ganze Ungemach zu<br />

erzählen. Nachdem sie über die F<strong>ro</strong>ntlage und die internationalen Ereignisse<br />

informiert worden waren, darunter auch recht vage über die Yaltaer Konferenz,<br />

die am Vortag zu Ende gegangen war, ging der Oberst zum heiklen Thema der<br />

„Repatriierung“ über, welches von den Teilnehmern spontan angeschnitten<br />

worden war.

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