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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 448<br />

126. Ein kurzer Aufenthalt: Nikolajewo<br />

Nach weiteren zwei Tagen erreichten wir, was wir für unser Reiseziel<br />

hielten: Nikolajewo, eine g<strong>ro</strong>ße Hafenstadt an der Meeresmündung des Bugs.<br />

Wir wurden in ein Stadtviertel mit zwei-dreistöckigen Wohnblocks gebracht. Einer<br />

von diesen war von den anderen durch ein Stacheldrahtnetz getrennt, und an<br />

den vier Ecken standen Wachtürme. Bitte schön, da hatten wir also ein Lager<br />

inmitten der Zivilbevölkerung. Die sich anscheinend von dieser unerhörten<br />

Gegenwart keineswegs stören ließ. Ja, als unsere „Nachbarn“ merkten, dass wir<br />

Rumänen waren, begannen von ihnen sogar Sympathiebezeugungen zu<br />

kommen.<br />

Die Erklärung ist einfach: Während des Krieges befand sich das<br />

Territorium bis zum Bug unter rumänischer Verwaltung, und jenseits des Bugs<br />

unter deutscher. Zweifellos verhielt sich die rumänische Verwaltung gegenüber<br />

der besetzten Bevölkerung friedlicher und viel nachsichtiger als jene der<br />

Deutschen. Deswegen kamen nachts viele Ukrainer über den Bug zu uns rüber,<br />

weil da die Lebensbedingungen viel besser waren. Wahrscheinlich hatten unsere<br />

neuen Nachbarn diese Umstände nicht vergessen und zeigten uns auf diese<br />

Weise ihre Dankbarkeit.<br />

Wir besetzten das ganze Obergeschoß des Wohnblocks. Damals erfuhren<br />

wir, dass diese Art Wohnungen Obste Schite (Gemeinschaftsleben) oder<br />

„Optschpe vite“ 179 , wie wir’s aussprachen, hießen.<br />

Das Syntagma wurde von uns zwar i<strong>ro</strong>nisch verballhornt, bezeichnete<br />

aber bestens die für den Menschen erniedrigenden Lebensbedingungen dieses<br />

Gemeinschaftshauses, in dessen vom politischen Denken der Sowjets kreierten<br />

architektonischen Räumen die zwischenmenschlichen Beziehungen der<br />

zukünftigen Bewohner ablaufen sollten. Die Gemeinschaftsküche, der<br />

Gemeinschaftswaschraum, das Gemeinschaftsbad, ja sogar das<br />

Gemeinschaftsklo schufen die Voraussetzungen für ein Höllenleben. So wie es<br />

auch bei uns in Rumänien sein sollte. Für uns jedoch, die wir das<br />

„Gemeinschaftsleben“ gewohnt waren, bedeutete dieses frisch getünchte und<br />

unbewohnte Gemeinschaftshaus fast schon Luxus. Deswegen schlossen wir<br />

daraus auch, dass unser „Erholungsaufenthalt“ hier nur ein P<strong>ro</strong>visorium sein<br />

konnte. Und so war es dann auch.<br />

Eines Morgens Anfang Juli wurden wir mit LKWs auf einer parallel zum<br />

Schwarzen Meer verlaufenden Route nach Odessa gebracht. Eine alte<br />

Bekanntschaft. Ort des Kampfes auf Leben und Tod. Wo in einem ungleichen<br />

und unüberlegten Zusammenprall die Blüte unserer Armee klein gehackt wurde.<br />

Wo ich, während links und rechts von mir meine Kameraden fielen, verzweifelt<br />

kämpfte und jede Sekunde darauf wartete, dass die Reihe auch an mich komme.<br />

Und da war ich nun wieder auf diesem von Geistern heimgesuchten<br />

Schlachtfeld.<br />

179 Rumänisch: Achtzehn Rinder.

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