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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 194<br />

diese Erlebnisse halte ich das Bild eines in Nebel gehüllten Lagers fest, Nebel,<br />

der alle Konturen der wirklichen Dinge auflöste und andere kreierte, abwegige<br />

und sich in ständigem Wandel befindende. Ein Zeugnis dieser Erschütterung<br />

meines Menschenvertrauens sind die nachfolgenden Verse (ein Fragment aus<br />

einem Gedicht mit dem Titel Abendphantasie, das ich etwas später während der<br />

Gefangenschaft verfasste und das auch vor das Bukarester Militärgericht<br />

gelangte). Diese Zeilen gebe ich ohne jeglichen literarischen Anspruch wieder,<br />

als ein Lebensdokument:<br />

Im Nebelgrau erlischt voll Bitterkeit<br />

Die letzte Glut des Abend<strong>ro</strong>ts,<br />

Und angstvoll tappt die Seele<br />

Auf der Schwelle zwischen Sünd’ und Tod.<br />

Abgrund links und rechts, kein Horizont davor.<br />

Ziel und Weg zugleich sind längst verloren.<br />

Die Felsen schweigen, gähnende Schlünde<br />

Gieren nach der Welt, um sie wieder zu gebären.<br />

Im Nebel treten Passanten auf mich zu,<br />

Doch bei Berührung werden sie zu Rauch.<br />

Ich erblicke Burgen und Paläste,<br />

Doch will ich sie berühren, sind sie weg im Nu.<br />

Ich spreche Menschen an, doch wie im Märchen<br />

Finde ich mich unter Schemen und Chimären wieder.<br />

Und wo immer ich denn such’ die Stütze für die Ewigkeit,<br />

Stoße ich auf lauter Schatten und Vergeblichkeit;<br />

So dass mich nur noch irr die Frage quält:<br />

Bin ich etwa auch schon ein Gespenst?<br />

Wie jede Epidemie sollte auch diese ein Ende haben, und zwar dann,<br />

wenn genügend moralisch Tote zu verzeichnen waren, um die nach dem Abgang<br />

der Tudoristen leer gebliebenen Betten der Lordkammer neu zu füllen.<br />

Der Frühling des Jahres 1944 hielt schließlich auch bei uns seinen Einzug,<br />

wenn auch verspätet und schäbig gekleidet, als unerwartet die Latrinen auftauten<br />

und das Lager mit unerträglichem Gestank füllten, irgendwie eine Vorschau auf<br />

die moralische Atmosphäre, den dieses verhängnisvolle Jahr für unser Land<br />

vorbereitete.<br />

Zwei Desaster sollten dies Jahr unser Lager erneut randvoll füllen: die<br />

Niederlage der Rumänischen Armee auf der Krim (Mitte Mai) und der Austritt<br />

aus der Achse vom 23. August. Die rumänischen Offiziere, die auf der Krim in<br />

Gefangenschaft gerieten, sollten im Juli/August vor die Tore von Oranki<br />

gelangen, nachdem sie die vorbestimmte Leidnorm erfüllt hatte – erschöpfende<br />

Märsche in größter Sommerhitze, ohne Wasser, ohne Nahrung, oder<br />

erstickende, wochenlange Reisen auf engstem Raum in den Viehwaggons des<br />

Todes.

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