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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 512<br />

Identitätsfestlegungen und Durchsuchungen bemerkten wir, dass man uns von<br />

den Fenstern eines hinteren Gebäudes Zeichen machte.<br />

Wer sagt, dass Gefangenschaft und Gefängnis nur Bitterkeit und Leid und<br />

niemals Freude mit sich bringen, der hat nichts davon je erlebt. Im Gegenteil,<br />

dort wo es g<strong>ro</strong>ßen Druck gegeben hat, dort kommt es auch zu g<strong>ro</strong>ßen<br />

Aufschwüngen, so wie dies auch die Freudenexplosion innerhalb unserer<br />

gesamten Gruppe war, als wir, endlich die Durchsuchung seitens der Wärter<br />

hinter uns, mit unserem Gepäck in dies hintere Gebäude gelangten, woher man<br />

uns Zeichen gemacht hatte, und – g<strong>ro</strong>ßer Gott! – auf einen guten Teil unserer<br />

Brüder stießen, die seinerzeit mitten im Hungerstreik von Marschansk von<br />

unserer Seite gerissen, in LKWs verladen und von den „humanistischen“<br />

sowjetischen Tschassowojs mit Gewehrkolbenschlägen traktiert worden waren.<br />

Der erste, den ich sah und umarmte, war Victor Clonaru mit seinem g<strong>ro</strong>ßzügigen<br />

und belebenden Lachen, dann Nae Cojocaru, dann Hauptmann Alexandru B\lan<br />

(der im Teufelsloch dem stellvertretenden lokalen Innenminister gesagt hatte, es<br />

gäbe noch freie Plätze auf der Anklagebank von Nürnberg), Nicolae Ispas, Nelu<br />

Teodorescu sowie unsere alten Obersten, unsere g<strong>ro</strong>ßzügigen Alten, die bereit<br />

waren, bis zum Äußersten solidarisch mit uns zu sein, Cezar Hagiopol und<br />

Stelian Dumitru. In Oranki hatten die Sowjets sie beim Hungerstreik von 1948 als<br />

Aufwiegler abgestempelt, von der Repatriierungsliste gestrichen, vor<br />

Militärtribunale geschickt, zu vielen und schweren Haftjahren verurteilt und<br />

jenseits des Polarkreises, ins unheimliche Workuta gebracht, wo sie bei grausam<br />

niedrigen Temperaturen (unter –40º) zusammen mit den größten kriminellen<br />

Bestien des sowjetischen Gemeinrechts zu vernichtenden Arbeiten gezwungen<br />

wurden. Wenn sie diese übermenschlichen Prüfungen, die es nicht einmal<br />

geschafft hatten, ihren Lebenstonus oder ihr moralisches Gleichgewicht zu<br />

erschüttern, durch gestanden hatten, dann heißt dies, dass wir ein kräftiges Volk<br />

sind und über einen starken Glauben an Gott verfügen. Später wurden sie dann<br />

nach und nach aus diesem wilden Gebiet entfernt und hierher, nach Sighet,<br />

geschickt. Rührend war auch meine Wiederbegegnung mit Ciutea, der im<br />

Februar 1946 in Oranki zehn Tage im Hungerstreik ausgeharrt hatte, nackt, in<br />

einer Karzerzelle mit kaputtem Fenster bei –10º, eine Fakirleistung, die alle<br />

Zeugen in Staunen versetzt hatte. Er war abgemagert, mit eingefallenem<br />

Gesicht, aber schlank und kräftig, und trug ein Leuchten im Antlitz, ein Zeichen<br />

dafür, dass der Geist über die Materie gesiegt hatte.<br />

Unerwartete Wiederbegegnungen, Freudenexplosionen, Umarmungen,<br />

Tränen, Fragen. „Und Soundso, wo ist er?“ „Wisst ihr denn, wer denn noch hier<br />

ist?“… All dies ließ die kalten und griesgrämigen theresianischen<br />

Gefängnismauern vibrieren, ein Lebensbeben und –rauschen wuchs gleich einer<br />

Flut an. Todhungrig und -müde wie wir waren, scherte sich keiner von uns mehr<br />

um Essen und Schlaf! Vom Zufall durcheinander gewürfelt saßen wir, nachdem<br />

wir unsere Jungs wieder gefunden hatten, auf den Pritschen und konnten uns<br />

nicht satt erzählen, wurden nicht fertig damit, all unsere zwischenzeitlichen<br />

Erfahrungen auszutauschen. Wie in einer verrückten Scheherezade, in der von<br />

einer kaum begonnenen Geschichte sofort zur nächsten übergegangen wurde.<br />

Der Erzählfaden riss stetig ab und musste immer wieder neu aufgenommen<br />

werden. Bilder aus dem weißen Inferno am Ufer des Eismeers überlagerten sich

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