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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 276<br />

Plötzlich öffnete sich mit einem kräftigen Schlag die Tür und im sofort<br />

entstandenen Dunst konnte man die schwarze und t<strong>ro</strong>ckene Silhouette eines<br />

nackten Gespenstes, das nur Haut und Knochen war, sehen.<br />

„Brüder!“, rief das Schemen außer Atem vom Laufen, „ich bin’s, Ciutea,<br />

seht, was diese aus mir gemacht haben! Ich werde sterben, aber ihr sollt’s<br />

sagen.“ Doch kam er nicht mehr dazu, weiterzusprechen, da seine Verfolger, die<br />

Sanitäter, auf ihn stürzten und ihn sich griffen.<br />

„Hilfe!“, schrie Ciutea wie am Spieß. „Springt herzu, Brüder, lasst mich<br />

nicht allein!“ Als sie diese Schreckens- und Verzweiflungsschreie hörten, kippte<br />

die Verblüffung unserer Jungs ob seiner skelettähnlichen Erscheinung in<br />

siedende Empörung um. Sie sprangen von den Pritschen und stürzten sich auf<br />

die Sanitäter, die aus Leibeskräften mit dem Schatten rangen, um ihn aus dem<br />

Schlafsaal zu zerren. Nach einem Hagel von Flüchen ging einer von<br />

Faustschlägen auf die Häupter der wohlgenährten Bestien nieder.<br />

Überrascht von diesem Empfang, gaben sie mit ihren blutenden Fressen<br />

die Beute auf und suchten das Weite.<br />

Wir versammelten uns um Ciutea, und unser Mitleid für ihn tat uns im<br />

Herzen weh. Wie viel F<strong>ro</strong>st und Hunger er all diese Zeit über ertragen hatte,<br />

konnte man an seiner ausgedörrten und bläulichen Mumie sehen, die sein Leib<br />

war, darin lebendig bloß das Weiß der schauderhaft geweiteten Augen in den<br />

g<strong>ro</strong>ßen und schwarzen Augenhöhlen waren oder die weißen Zähne eines<br />

Mundes, aus dem ununterb<strong>ro</strong>chen die fulminantesten Anklagen gegen diese<br />

Schandflecken der Menschheit, die sie waren, quollen.<br />

„Ich werde sterben, aber ihr, wo immer ihr auch sein werdet, sagt der<br />

Welt, was ihr gesehen habt und mit welcher Bestialität mich diese sowjetischen<br />

Humanisten ermordet haben!“ Mehr konnte er nicht sagen, denn die Tür ging<br />

wieder auf, und herein stürzten mit neuem Mut erneut die Sanitäter, denn sie<br />

kamen in Begleitung des Offiziers vom Dienst gefolgt von zwei bewaffneten<br />

Tschassowojs. Die Sanitäter versuchten dem Offizier zu erklären, was ihnen<br />

zugestoßen war, und zeigten ihm Ciutea und die rumänischen Offiziere, welche<br />

sie verprügelt hatten.<br />

Eine Welle der Empörung ging durch den gesamten Schlafsaal. Buhrufe,<br />

Schimpfwörter wie Mörder, Bestien, Verbrecher flogen unaufhörlich durch den<br />

Raum und meinten sowohl die Sanitäter, als auch die Sowjets. Angesichts dieser<br />

aufgebrachten Menge mit vor Zorn verzerrten Gesichtern und vor Hass<br />

funkelnden Augen, welche der Behörde bis zum Irrsinn all ihre Verachtung<br />

entgegenbrüllte, machte der Gardekommandant erst einmal einen Rückzieher<br />

hinter seine Soldaten, die auch schon zu den Magazins der MPs griffen. Um die<br />

Lage zu entspannen, trat ein Hauptmann (B\lan, glaube ich) vor die Menge und<br />

befahl Ruhe. Und als es still geworden war, wandte er sich zum Kommandanten<br />

und sagte ruhig, indem er auf Ciutea zeigte: „Seht, in was für einen Zustand ihr<br />

ihn gebracht habt! Ist dies euer sowjetischer Humanismus, von dem ihr soviel<br />

sprecht?” Der Offizier schien erst einmal wie vor den Kopf gestoßen angesichts<br />

dessen, was er vor sich sah. Für einen Moment schien das Restchen<br />

Menschlichkeit in ihm von dem Schmerzensberg vor ihm gerührt zu werden.<br />

Aber nur für einen Moment. Schließlich war er nicht derjenige, der zwischen dem<br />

Offensichtlichen und der Ideologie ersterem den Vorzug gab. Deswegen

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